Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts
Leitsatz (redaktionell)
- Nach § 351 Abs. 1 AO können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht.
- Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Steuergesetzes durch das BVerfG ist keine neue Tatsache i.S. von § 173 AO.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 351
Streitjahr(e)
1998
Tatbestand
Streitig ist, ob ein bestandskräftiger Steuerbescheid aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG - geändert werden kann.
Der Kläger bezog als Geschäftsführer einer AG im Streitjahr 1998 Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit. Daneben erzielte er Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen. Weiterhin erzielten die Kläger aus Verkäufen von Wertpapieren Einnahmen aus Spekulationsgeschäften nach § 22 Nr. 2 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b Einkommensteuergesetz – EStG -. Insgesamt erklärten sie insoweit sonstige Einkünfte in Höhe von ... DM.
Der Beklagte erließ am 14. Juni 2000 aufgrund der eingereichten Erklärung einen Einkommensteuerbescheid, der nicht angefochten wurde. Dieser Bescheid wurde vom Beklagten durch Bescheide vom 26. November 2001 und 13. März 2003 geändert. Der Bescheid vom 13. März 2003 war nach § 165 Abs. 1 Abgabenordnung – AO - hinsichtlich der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen und der Anwendung des § 32 c EStG vorläufig. Er wurde nicht angefochten.
Mit Schreiben vom 24. Juni 2004 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Kläger nachträglich für die Klägerin Zinseinnahmen für den Zeitraum 1998 in Höhe von ... DM. Daraufhin wurde der Einkommensteuerbescheid 1998 wiederum geändert. Nunmehr erfolgte die Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Dieser Bescheid erging am 29. Juli 2004. Hinsichtlich der Anwendung des § 32 c EStG und der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen war der Bescheid weiterhin vorläufig.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Einspruch ein. Mit dem Einspruch wendeten sie sich gegen die Besteuerung der privaten Veräußerungsgeschäfte von Aktien und anderer Wertpapiere. Aufgrund der Entscheidung des BVerfG zu der Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen in den Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 sei der Einspruch begründet.
Daraufhin änderte der Beklagte die Einkommensteuerfestsetzung mit Bescheid vom 30. August 2004. Die festgesetzte Einkommensteuer wurde auf den Betrag reduziert, wie er mit Bescheid vom 13. März 2003 bereits festgesetzt war. Hinsichtlich der Vorläufigkeit blieb es bei der Regelung des Bescheides vom 29. Juli 2004. Zusammenfassend wurden folgende Änderungen des Einkommensteuerbescheides 1998 seit dem 13. März 2003 durchgeführt:
Datum des Einkommensteuerbescheides |
festgesetzte Einkommensteuer in DM |
Bemerkung |
in Bezug genommene Änderungsvorschriften |
13. März 2003 |
... |
nicht angefochten |
|
29. Juli 2004 |
... |
Nacherklärung Zinseinkünfte |
§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO |
30. August 2004 |
... |
Berücksichtigung der Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG |
§§ 172, 351 AO |
Soweit der Einspruch gegen den Bescheid vom 29. Juli 2004 weiter reichte, wurde im Bescheid vom 30. August 2004 eine weitergehende Änderung durch den Beklagten unter Hinweis auf § 351 Abs. 1 AO abgelehnt. Das Finanzamt teilte mit, der Einspruch habe sich erledigt.
Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 30. August 2004 legten die Kläger wiederum Einspruch ein, der mit Einspruchsbescheid vom 20. Dezember 2004 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Dagegen richtet sich die Klage.
Die Kläger tragen vor, das Urteil des BVerfG vom 9. März 2004 sei eine neue Tatsache im Sinne des § 173 AO, die zu einer niedrigeren Steuer gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führe. Der Bundesfinanzhof – BFH - habe entschieden, dass die Ungewissheit darüber, wie der Gesetzgeber die durch Entscheidungen des BVerfG notwendig werdende Neuregelung gestaltet, eine ungewisse Tatsache sei. Zwar sei diese Entscheidung zu § 165 AO ergangen; aber wie das Niedersächsische Finanzgericht – FG - in einem Urteil vom 10. April 1992 entschieden habe, sei der Begriff Tatsache einheitlich in der AO auszulegen.
Die Entscheidung des BVerfG sei auch bei bestandskräftigen Steuerbescheiden zu berücksichtigen, da eine Steuer nur dann entstehen könne, wenn eine verfassungsgemäße steuerbegründende Gesetzesnorm bestehe.
Unabhängig davon sei das Urteil des BVerfG ein Beweismittel im Sinne von § 92 Satz 2 Nr. 3 AO, so dass nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO die Entscheidung des BVerfG auch als nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel angesehen werden könne.
Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben müsse im Streitfall das Prinzip der Rechtsrichtigkeit dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, da aufgrund der Entscheidung des BVerfG die Rechtswidrigkeit der Besteuerung der Spekulationsgewinne im Streitjahr feststehe. Auch aus dem Vertrauensschutz im Sinne des § 176 AO ergeb...