Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Kündigungsschutz. außerordentliche Kündigung. Zustimmungsfiktion. Ermessenserwägungen der Hauptfürsorgestelle
Leitsatz (amtlich)
Die Zustimmungsfiktion des § 21 Abs. 3 Satz 2 SchwbG tritt nicht ein, wenn der ablehnende Bescheid innerhalb der Zwei-Wochen-Frist den Machtbereich der Hauptfürsorgestelle verlassen hat (wie BAGE 44, 22).
Zu den Anforderungen an die Ermessenserwägungen, die die Hauptfürsorgestelle anzustellen hat, wenn ein Arbeitgeber beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, bei dem Alkoholkrankheit als Schwerbehinderung festgestellt ist, wegen eines alkoholbedingten Fehlverhaltens außerordentlich zu kündigen.
Normenkette
SchwbG § 21
Verfahrensgang
VG Göttingen (Urteil vom 18.01.1994; Aktenzeichen 2 A 2359/92) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen – 2. Kammer – vom 18. Januar 1994 wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch den Beklagten und den Beigeladenen durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 150,– DM abwenden, wenn diese nicht jeweils vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin erstrebt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem schwerbehinderten Beigeladenen.
Der am 25. Januar 1948 geborene Beigeladene ist seit dem 22. Mai 1974 in der Verwaltung der Klägerin beschäftigt. Auf seinen Antrag vom 21. Februar 1992 wurde er durch Bescheid des Versorgungsamtes … vom 18. August 1992 mit einem Grad der Behinderung von 60 als Schwerbehinderter anerkannt. Das Versorgungsamt stellte die folgenden Behinderungen fest: 1. Psychische Störungen und Alkoholkrankheit; 2. Wirbelsäulenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen.
Der Beigeladene wurde zweimal wegen mangelhafter Arbeitsleistung abgemahnt. Er wird im Lohn- und Vergütungsbüro der Klägerin mit einer unterdurchschnittlich hohen Zahl von Fällen befaßt. Etwa seit Mitte der 80er Jahre hatte er sich steigernde Alkoholprobleme. Vom 1. Mai bis zum 18. Juni 1990 unterzog er sich in der Abteilung Psychiatrie der Klägerin einer Alkoholentgiftung und einer Psychotherapie.
Am 25. Februar 1992 beantragte die Klägerin, einer fristlosen Kündigung des mit dem Beigeladenen abgeschlossenen Angestelltenvertrages zuzustimmen. Zur Begründung gab sie an: Der Beigeladene habe wiederholt, zuletzt Ende 1991/Anfang 1992, erhebliche Arbeitsrückstände auflaufen lassen, obwohl er nur eine reduzierte Anzahl von Konten zu verwalten habe. Am Morgen des 7. Februar 1992, einem Freitag, habe er sich mit der Begründung arbeitsunfähig gemeldet, er leide unter Brechdurchfall. Gegen 12.15 Uhr sei er jedoch von einer zuverlässigen Mitarbeiterin, die sich seinerzeit in Mutterschutzurlaub befunden habe, dabei beobachtet worden, wie er in stark alkoholisiertem Zustand eine Gaststätte in der Innenstadt … verlassen und ein Taxi bestiegen habe. Am 11. Februar 1992, einem Dienstag, auf den 7. Februar 1992 angesprochen, habe der Beigeladene geleugnet, die Gaststätte betrunken verlassen zu haben. Er habe sich wie folgt eingelassen: Er sei tatsächlich krank gewesen und habe die Innenstadt … aufgesucht, um sich dort Geld zum Erwerb der notwendigen Medikamente zu besorgen. Dort sei ihm erneut übel geworden. Er habe sich in die Gaststätte geschleppt, um sich dort von einem Taxi abholen zu lassen. Diese Einlassung sei aufgrund der Beobachtungen der Mitarbeiterin nicht glaubhaft.
Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr, der Klägerin, nun nicht mehr zuzumuten. Die Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz sei nicht möglich.
Nach Anhörung der zu beteiligenden Stellen und des Beigeladenen sowie nach Durchführung der Einigungsverhandlung lehnte die Hauptfürsorgestelle den Antrag durch Bescheid vom 10. März 1992 im wesentlichen mit folgender Begründung ab: Der Beigeladene habe sich dazu bereit erklärt, sich einer Alkohollangzeittherapie zu unterziehen. Der Klägerin könne zugemutet werden, deren Ergebnis abzuwarten.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuß (I. Kammer) beim Landessozialamt – Hauptfürsorgestelle – durch Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 1992 zurück. Darin wird u. a. ausgeführt: Zwischen Kündigungsgrund und Schwerbehinderung (psychische Störungen und Alkoholkrankheit) bestehe ein Zusammenhang. Deswegen sei über den Antrag auf Erteilung der Zustimmung nicht nur nach Abwägung der einander widerstreitenden Interessen, sondern auch unter Berücksichtigung einer gesteigerten Fürsorgepflicht der Klägerin zu entscheiden. Dieser sei es daher zumindest zuzumuten, das Ergebnis der vier- bis sechsmonatigen Therapie abzuwarten, die der Beigeladene am 8. September 1992 angetreten habe. Das sei auch in der „Übereinkunft zur...