Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichtverteidigergebühr: Kostenerstattung bei Beiordnung des Pflichtverteidigers für einen Tag
Leitsatz (amtlich)
1. Ist ein Pflichtverteidiger gehindert, an einem Terminstag einer mehrtägigen Hauptverhandlung teilzunehmen, ist für diesen Tag die Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts als Terminsvertreter zulässig.
2. Durch die Beiordnung des Terminsvertreters entsteht für diesen kein eigenständiges öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis. Stattdessen ist für den Pflichtverteidiger und den Terminsvertreter ein einheitliches Pflichtverteidigermandat abzurechnen.
3. Dem Terminsvertreter stehen keine Gebühren zu, wenn diese bereits vom Pflichtverteidiger abgerechnet wurden.
Normenkette
RVG-VV Nrn. 4100, 4112, 4114
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Entscheidung vom 02.04.2015) |
Tenor
1. Das Sache wird wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Entscheidung der Einzelrichterin).
2. Die Beschwerde des Rechtsanwalts J. R. gegen den Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 2. April 2015 wird als unbegründet verworfen.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Braunschweig verhandelte gegen den Angeklagten, der sich seit Anfang März 2014 in Untersuchungshaft befand, in der Zeit vom 2. September 2014 bis zum 6. November 2014 (Az.: 9 Ks 11/14) unter anderem wegen des Vorwurfs des Mordes. Ihm wurde zur Last gelegt, seine Mutter mit einem zu einer scharfen Waffe umgebauten Trommelrevolver getötet zu haben, um sich als Erbe in den Besitz ihres Hauses zu bringen (vgl. Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 2. Juli 2014, Bl. 134 ff. Bd. IV d. A.).
Der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer sprach unter anderem mit Rechtsanwalt E., der dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, die Hauptverhandlungstermine ab. Einer der Sitzungstage sollte am 16. September 2014 stattfinden. An diesem Tag war Rechtsanwalt E. allerdings wegen Urlaubs am Erscheinen gehindert. Der Vorsitzende und Rechtsanwalt E. besprachen deshalb, dass an diesem Tag der Kanzleikollege von Rechtsanwalt E., der Beschwerdeführer, vertretungsweise als Verteidiger für den Angeklagten tätig werden sollte und dass deshalb nur ein eingeschränktes Zeugenprogramm erfolgen sollte (vgl. Verfügung des Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer vom 1. August 2014, Bl. 235 - 238 Bd. IV d. A.). Der Vorsitzende lud für den Sitzungstag am 16. September 2014 absprachegemäß lediglich zwei Zeugen, die zum allgemeinen Verhältnis des Angeklagten zu seiner Mutter befragt werden sollten (vgl. S. 7 der Anklageschrift vom 2. Juli 2014, Bl. 134 ff. Bd. IV d. A.; S. 2 des Schriftsatzes des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt E. vom 25. Juli 2015, Bl. 225 f. Bd. IV d. A.). Nachdem einer der Zeugen mitgeteilt hatte, dass er am 16. September 2014 verhindert sei (vgl. Vermerk vom 11. August 2014, Bl. 261 Bd. IV d. A.), lud der Vorsitzende stattdessen einen weiteren Zeugen zum selben Beweisthema (vgl. Schriftsatz von Rechtsanwalt E. vom 20. August 2014, Bl. 274 Bd. IV d. A.; Verfügung vom 21. August 2014, Bl. 274 Bd. IV d. A.). Zudem veranlasste der Vorsitzende die Umladung eines ursprünglich für den Terminstag am 2. September 2014 geladenen Sachverständigen, der sich mit der Waffensammlung des Angeklagten befasst hatte, auf den 16. September 2014, nachdem Rechtsanwalt E. im Schriftsatz vom 27. August 2014 mitgeteilt hatte, dass die Vorbereitungszeit bis zum 2. September 2014 zu kurz sei (Bl. 44 f. Bd. V d. A.). Der Sitzungstag am 16. September 2014 dauerte insgesamt 90 Minuten (von 9:00 Uhr bis 10:30 Uhr, Bl. 64 Bd. V d. A.). Anstelle des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt E. nahm absprachegemäß der Beschwerdeführer an der Hauptverhandlung teil und wurde vom Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer (nur) für den Sitzungstag am 16. September 2014 dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet (Bl. 81 Bd. V d. A.).
Rechtsanwalt E. beantragte mit Schriftsatz vom 11. November 2014 die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühren, u. a. eine Grundgebühr mit Zuschlag nach Nr. 4101 VV RVG, eine Verfahrensgebühr mit Zuschlag nach Nr. 4105 VV RVG sowie für die von ihm wahrgenommenen Hauptverhandlungstermine am 2. und 5. September, am 8., 16. und 29. Oktober sowie am 6. November 2014 jeweils Terminsgebühren mit Zuschlag nach Nr. 4121 VV RVG (Bl. 214 - 217 Bd. V d. A.) und die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG. Die vorgenannten Gebühren wurden antragsgemäß festgesetzt (Bl. 226 Bd. V d. A.).
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 11. November 2014 (Bl. 209 f. Bd. V d. A.) beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht Braunschweig, die nachstehenden Pflichtverteidigergebühren festzusetzen und zu zahlen:
1. |
Grundgebühr mit Zuschlag, Nr. 4101 VV RVG |
192,00 € |
2. |
Verfahrensgebühr vor dem Schwurgericht mit Zuschlag, Nr. 4107 VV RVG |
385,00 € |
3. |
Terminsgebühr vor dem Schwurgericht mit Zuschlag (16.09.2014), Nr. 4121 ... |