Entscheidungsstichwort (Thema)
Dieselaffäre: Berechnung der Nutzungsentschädigung
Leitsatz (amtlich)
Bei der Schätzung der auf den Schadensersatzanspruch im Wege des Vorteilsausgleichs anzurechnenden Nutzungsentschädigung findet die lineare Methode auch Anwendung bei unterdurchschnittlicher Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Normenkette
BGB § 826; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Braunschweig (Urteil vom 12.01.2021; Aktenzeichen 11 O 5534/18 (1299)) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 12. Januar 2021 teilweise abgeändert, und zwar hinsichtlich Ziff. 1 des Tenors.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weitere 10.047,13 EUR und damit insgesamt 21.900,93 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. Februar 2019 zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Pkw VW Tiguan 2.0 TDI, Fahrzeug-Identifizierungsnummer ....
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 1/10 und die Beklagte 9/10 zu tragen. Die Kosten des Berufungsrechtsstreits fallen insgesamt der Beklagten zur Last.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Berufungsstreitwert wird auf die Gebührenstufe bis 13.000.- EUR festgesetzt.
Gründe
1. Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere auch ordnungsgemäß begründet i.S.v. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2, 3 ZPO.
2. Die Berufung ist auch begründet. Das Landgericht hat bei der Berechnung des dem Kläger zustehenden Schadensersatzes aus § 826 BGB wegen der Ausstattung seines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung (Urteil S. 7-16, Bl. 140-14; BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -; 30.07.2020 - VI ZR 354/19 -) einen vom Kläger geltend gemachten Schadensposten zu Unrecht nicht zuerkannt und im Übrigen die vom Kaufpreis abzusetzende Nutzungsentschädigung deutlich zu niedrig bemessen.
a) Dem Kläger steht wegen der Installation der streitgegenständlichen, unzulässigen Abschalteinrichtung aus § 826 BGB auch ein Anspruch auf Ersatz der Kosten von Überführung und Zulassung i.H.v. 665,51 EUR zu. Diese sind unmittelbar durch den Abschluss des Kaufvertrages und den Erwerb des Fahrzeugs verursacht worden und deshalb ersatzfähig wie Finanzierungskosten (s. dazu BGH 13.04.2021 - VI ZR 274/20, in Juris Rz. 12-20 -).
Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich nicht um Aufwendungen, die wie Inspektions-, Wartungs- und Reparaturkosten allein der Nutzung dienten und deshalb nicht ersatzfähig seien, weil die Nutzung tatsächlich möglich gewesen sei (Berufungserwiderung S. 3, 6, Bl. 191, 194 d.A.). Bei Überführungs- und Zulassungskosten geht es nicht um Aufwendungen für die laufende Unterhaltung, die wegen ihrer Ursache in der laufenden Nutzung des Fahrzeugs nicht als vergeblich anzusehen sind (BGH 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 24 -; BGH 19.01.2021 - VI ZR 8/20, in Juris Rz. 16 -). Da der Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB auf das negative Interesse geht, ist er so zu stellen, wie er stünde, wenn er den Kaufvertrag vom 11.02.2009 nicht abgeschlossen hätte. Dann jedoch hätte er solche Aufwendungen, die unmittelbar durch den Erwerb des Fahrzeugs anfallen und dessen künftige Nutzung überhaupt erst ermöglichen sollen, nicht gemacht; sie erweisen sich nun infolge der Rückabwicklung des Kaufvertrages als nutzlos (vgl. nur Palandt / Grüneberg, BGB, 80. Aufl., Rz. 17 vor § 249 und 60 zu § 249 m.w.N.). Die Argumentation der Beklagten mit dem Bezug der Aufwendungen der faktischen Nutzung des Fahrzeugs würde in der Konsequenz zu unhaltbaren Ergebnissen führen, weil man danach sogar noch den Fahrzeugkaufpreis als der faktischen Nutzung dienend ansehen könnte, obwohl er als eine der Hauptleistungen im rückabzuwickelnden Kaufvertrag jedenfalls zu erstatten wäre.
b) Zu Recht wendet sich der Kläger ferner gegen den Abzug einer Nutzungsentschädigung i.H.v. pauschal 60% des Kaufpreises für das zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung fast 12 Jahre alte Fahrzeug.
aa) Nach der vom Bundesgerichtshof gebilligten ständigen Rechtsprechung u.a. auch des Senats hat sich der Geschädigte bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen im Rahmen des sog. "VW-Abgasskandals" auf seinen Anspruch auf Kaufpreisrückzahlung jedenfalls den Nutzungsvorteil an dem jeweils streitgegenständlichen Fahrzeug anrechnen zu lassen, weil er dieses fortwährend genutzt hat (BGH 25.05.2020 - VI ZR 252/19, in Juris Rz. 78-83 -; 30.07.2020 - VI ZR 354/19, in Juris Rz. 7-15 - zum Senatsurteil vom 20.08.2019 - 7 U 5/18 -; Senatsurteile vom 22.09.2020 - 7 U 607/18 -, 29.09.2020 - 7 U 57/19 -, 20.05.2021 - 7 U 670/19 und 09.09.2021 - 7 U 799/19 -, unveröff.). Denn nach dem Grundsatz der Vorteilsausgleichung darf der Geschädigte entsprechend dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot (BGHZ 190, 145 - in Juris Rz. 56 -) nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde; deswegen hat auch im vorliegenden Falle eine Anrechn...