Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Anforderungen an eine Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung durch Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ein Fahrzeug
Leitsatz (amtlich)
1. Legt der Motorenhersteller gegenüber der Typengenehmigungsbehörde die Verwendung bestimmter Strategien der Abgasreinigung - hier die prüfstandsbezogene Steuerung der Regenerationszyklen eines Speicherkatalysators -, die als unzulässige Abschalteinrichtungen anzusehen sein könnten, offen, entfällt jedenfalls ab diesem Zeitpunkt eine etwaige objektive Sittenwidrigkeit des Verhaltens des Herstellers, da er ein etwaiges auf die Täuschung der Typengenehmigungsbehörde gerichtetes Verhalten aufgegeben hat.
2. Eine Abschalteinrichtung, die die Abgasreinigung nur während des Betriebes im NEFZ optimiert, vermag auch bei angenommener Unzulässigkeit den Vorwurf der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung der Erwerber des Fahrzeuges dann nicht zu rechtfertigen, wenn die Emissionsgrenzwerte im NEFZ auch ohne die Verwendung der Abschalteinrichtung eingehalten werden (fehlende Grenzwertkausalität; Abweichung von OLG Naumburg, Urteil vom 09. April 2021 - 8 U 68/20 -).
Normenkette
BGB § 826
Verfahrensgang
LG Bremen (Aktenzeichen 8 O 2218/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 11.06.2021 - Az. 8 O 2218/20 - wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
3. Das Urteil des Landgerichts Bremen vom 11.06.2021 - Az. 8 O 2218/20 - sowie das Urteil des Senats sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, eine Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte ihrerseits vor einer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert der Berufung wird auf 21.023,81 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin des von ihm erworbenen Fahrzeuges auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
1. Der Kläger erwarb am 17.02.2016 ein Fahrzeug der Marke VW, Typ Golf VII 2.0 TDI, Euro 6 als Gebrauchtfahrzeug bei einem Kilometerstand von 17.800 Km zu einem Preis von 29.500,- EUR. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten Motor der Baureihe EA 288 ausgestattet. Zur Abgasreinigung wird auch ein NOx-Speicherkatalysator (kurz NSK bzw. NSC) eingesetzt.
Der Kläger begehrt Schadensersatz in Höhe des gezahlten Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz, Zug-um-Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges an die Beklagte sowie Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten.
In I. Instanz hat der Kläger nach den Feststellungen des Landgerichts behauptet, dass in der Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeuges diverse Abschalteinrichtungen zum Einsatz kämen, die dazu führten, dass die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxidemissionen nur auf dem Prüfstand eingehalten würden. Dies folge aus den erheblichen Überschreitungen der Grenzwerte bei Messungen im Realbetrieb. Außerdem werde die Abgasrückführung zeitabhängig zurückgefahren und die zur Abgasreinigung im SCR-Katalysator eingesetzte Menge AdBlue außerhalb des Prüfstandsbetriebes reduziert. Schließlich komme in der Motorsteuerung ein unzulässiges Thermofenster zum Einsatz; durch diese Softwaresteuerung werde die Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Außentemperatur geregelt. Bei sehr niedrigen oder sehr hohen Außentemperaturen werde die Abgasreinigung reduziert oder gar abgeschaltet.
Hinsichtlich des Tatbestandes und des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz im Übrigen einschließlich der dort gestellten Anträge wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts Bremen vom 11.06.2021 Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
2. Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Vertragliche oder vorvertragliche Ansprüche bestünden mangels entsprechender Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien nicht.
Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch folge auch nicht aus § 826 BGB. Hierfür könne es offen bleiben, ob eine Motorsteuerung in Form eines Thermofensters eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 darstelle. Denn jedenfalls stelle sich das Inverkehrbringen des Motors mit einer solchen Steuerungsfunktion nicht als sittenwidrige Handlung im Sinne des § 826 BGB dar. Bei Einsatz einer die Abgasreinigung steuernden Software, die im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie im Prüfstandsbetrieb arbeite, könne nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein agiert hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Kläger habe aber keine konkreten Anhaltspunkte fü...