Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur kollisionsrechtlichen Vorfrage eines nach dem Herkunftsland (Ghana) bereits bestehenden gemeinsamen Sorgerechts der nicht verheirateten Eltern.
Leitsatz (amtlich)
Ein Aufenthaltswechsel des Kindes führt nach Art. 16 Abs. 3 KSÜ nicht zum Wegfall eines nach dem Recht des früheren Aufenthaltsorts bestehenden (Mit-)Sorgerechts.
Normenkette
BGB § 1626a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; Brüssel-IIa-VO Art. 8; KSÜ Art. 15-16; MSA Art. 2
Verfahrensgang
AG Hannover (Aktenzeichen 601 F 831/18) |
Tenor
wird dem Kindesvater auf seine sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 13. April 2018 Verfahrenskostenhilfe für das Sorgerechtsverfahren in erster Instanz bewilligt.
Ihm wird Rechtsanwalt B. in H. zur Vertretung beigeordnet.
Gleichzeitig wird ihm aufgegeben, 39 EUR monatlich, beginnend am 4. Juli 2018, zu zahlen, solange das Gericht nichts anderes bestimmt. Unabhängig von der Zahl der Rechtszüge sind in einem Rechtsstreit jedoch nicht mehr als 48 Monatsraten zu zahlen.
Die Folgeraten sind jeweils bis zum 4. eines jeden Monats zu zahlen.
Gründe
Die zulässige sofortige Beschwerde des Kindesvaters ist begründet. Sie führt zur Bewilligung der nachgesuchten Verfahrenskostenhilfe und antragsgemäßen Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten.
1. Bei den gegebenen Umständen kann die Verfahrenskostenhilfegewährung nicht wegen Mutwilligkeit nach § 76 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 114 ZPO versagt werden. Eine Rechtsverfolgung ist gemäß § 114 Abs. 2 ZPO mutwillig, wenn durch die Rechtsverfolgung unnötige oder zusätzliche Kosten verursacht werden, die ein Beteiligter, der selbst für die Verfahrenskosten aufzukommen hätte, vermeiden würde. Angesichts des Umstandes, dass der Kindesvater vorgetragen hat, die Kindesmutter mehrfach auf ein gemeinsames Sorgerecht ohne Erfolg angesprochen zu haben, kann ihm die Einleitung des gerichtlichen Verfahrens nicht als voreilige Maßnahme zur Verfolgung dieses Ziels vorgehalten werden. Die Kindesmutter hat sich im Verfahrenskostenhilfestadium noch nicht zum Begehren des Kindesvaters geäußert, sondern nach Angaben des Kindesvaters vielmehr seinen Umgang mit den Kindern ausgesetzt. Dieses Verhalten spricht nicht dafür, dass die Kindesmutter vom Kindesvater zur freiwilligen Abgabe einer Sorgerechtserklärung nach § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB bewegt werden kann.
2. Die für die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe nach § 76 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 114 ZPO erforderlichen Erfolgsaussichten können im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung nicht verneint werden. Es ist davon auszugehen, dass eine Herstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge jedenfalls für das in Deutschland geborene jüngere Kind der Beteiligten nach § 1626 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB in Betracht kommt. Für das ältere Kind dürfte bereits nach dem maßgeblichen Herkunftsrecht ein gemeinsames Sorgerecht der Eltern bestehen, sodass es allenfalls einer deklaratorischen gerichtlichen Feststellung bedürfte.
a) Das auf die elterliche Verantwortung anzuwendende Recht bestimmt sich nach dem Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 (fortan: KSÜ), welches in Deutschland am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist (BGBl. II 2010, 1527). Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung erstreckt sich nach Art. 3 lit. a KSÜ auf Maßnahmen, welche auch die Zuweisung oder Ausübung der elterlichen Sorge umfassen. Gemäß Art. 53 Abs. 1 KSÜ ist das Übereinkommen in zeitlicher Hinsicht auf Maßnahmen anzuwenden, welche wie im Streitfall nach dem Inkrafttreten in einem Vertragsstaat getroffen werden sollen. Der Anwendung des KSÜ steht nicht entgegen, dass die betroffenen Kinder nicht Angehörige eines Vertragsstaates des KSÜ sind (vgl. Palandt/Thorn, BGB, 77. Aufl. 2018, Anh. zu Art. 24 EGBGB 18 a. E.). Es bedarf keines Auslandsbezugs zu einem weiteren Vertragsstaat des KSÜ (vgl. BGH, Beschl. v. 20. Dezember 2017 - XII ZB 333/17, FamRZ 2018, 457: Bezug zu Guinea; OLG Karlsruhe, a. a. O.: Bezug zu Peru).
b) Die Gerichte wenden nach Art. 15 Abs. 1 KSÜ bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit nach Kapitel II des Übereinkommens ihr eigenes Recht an (vgl. Reithmann/
Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. 2015, Teil 7 Rn. 7.968). Danach findet im sorgerechtlichen Verfahren also grundsätzlich das deutsche Kindschaftsrecht Anwendung.
Die Herstellung des gemeinsamen Sorgerechts nach der Regelung des § 1626 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB setzt allerdings denklogisch voraus, dass dem antragstellenden Elternteil die elterliche Sorge noch nicht zusteht. Sofern die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach der Geburt oder einer Sorgerechtsentscheidung verändert haben, könnte es bei der Beurteilung dieser sog. kollisionsrechtlichen Vorfrage wegen der Anknüpfung an den jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 KSÜ zu einem ...