Leitsatz (amtlich)
Vor der Behandlung mit Benzodiazepinen ist der Patient über die Risiken und Nebenwirkungen dieser Medikation aufzuklären; einer gesonderten Aufklärung über das Suchtpotential dieser Arzneimittelgruppe bedarf es hingegen grundsätzlich nicht.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 1639/14) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
3. Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
4. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 33.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für Zukunftsschäden wegen einer fehlerhaften medikamentösen Behandlung bei der Beklagten im Zeitraum vom 14.01.2009 bis zum 01.04.2009, über die sie nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei.
Die 1979 geborene Klägerin, eine ausgebildete Krankenschwester, befand sich seit 2005 wegen psychischer Erkrankungen mit erheblicher Suizidialität und Essstörungen mehrfach zur voll- und teilstationären Behandlung in psychiatrischen Kliniken und Einrichtungen. Bei diesen Aufenthalten erfolgte zeitweise auch eine Medikation mit Benzodiazepinen, die auch als Entlassungsmedikation aufgeführt wurden. Aufgrund von Suizidversuchen wurde 2007 eine Vorsorgevollmacht für ihre Mutter beantragt. Bereits zuvor hatte sie einen Bandscheibenvorfall erlitten; eine spätere berufliche Rehabilitation als Steuerfachangestellte brach sie ab. Seit 2007 ist sie berentet.
Während eines im Oktober 2008 begonnenen teilstationären Aufenthaltes im Fachkrankenhaus H. suchte die Klägerin ihren Hausarzt auf, der wie schon zuvor u.a. ein Benzodiazepin verschrieb. Die Behandlung wurde daher durch die Klinik zum 07.01.2009 beendet. Der Hausarzt verschrieb am 08.01.2009 erneut Tavor. Am 12.01.2009 unternahm sie einen weiteren Suizidversuch mittels des Schmerzmittels Paracetamol und wurde in der Folge im Klinikum der Beklagten zunächst als Intensivpatientin und ab dem 14.01.2009 in der psychiatrischen Klinik aufgenommen und dort fortlaufend bis zur Entlassung am 01.04.2009 mit Benzodiazepinen behandelt. Im Zusammenhang mit dieser Behandlung rügt die Klägerin Behandlungs- und Aufklärungsfehler. Insbesondere sei sie infolge der fehlerhaften Behandlung benzodiazepinabhängig geworden.
Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens und Anhörung des Gutachters in der mündlichen Verhandlung abgewiesen. Die Klägerin habe weder Behandlungs- noch Aufklärungsfehler bewiesen. Die Verabreichung des Benzodiazepins Lorazepam habe nach den gutachterlichen Ausführungen dem fachärztlichen Standard entsprochen, Behandlungsfehler seien im übrigen nicht ersichtlich. Einer Haftung der Beklagten wegen eines Aufklärungsmangels stünde entgegen, dass die Verabreichung von Lorazepam wegen der bestehenden Vormedikation keine neue Abhängigkeit begründet habe und ein Entscheidungskonflikt vor diesem Hintergrund nicht hinreichend plausibel erscheine. Die Klägerin habe zudem nicht dargelegt und bewiesen, dass die Behandlung mit Lorazepam auf einer Entscheidung der Beklagten zu 2 beruht habe, so dass diese unter keinem Gesichtspunkt haften.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, zu deren Begründung sie insbesondere rügt, das Landgericht habe die mangelhafte Aufklärung einerseits über das bei Langzeitanwendung bestehende Suchtpotential der im übrigen zu hoch dosierten Medikamente und andererseits über bestehende Behandlungsalternativen fehlerhaft verneint. Insbesondere sei ihre vorsorgebevollmächtigte Mutter nicht über das Suchtrisiko aufgeklärt worden. Die frühere Einnahme von Benzodiazepinen hätten keine Abhängigkeit begründet. Die dahingehende Vermutung des Sachverständigen sei im wesentlichen damit begründet, dass sie bei Aufnahme bei der Beklagten zu 1 Lorazepam bei sich geführt habe. Der Sachverständige setze sich nicht damit auseinander, dass die Verordnung von Benzodiazepinen wegen des langjährigen Medikamentenmissbrauchs kontraindiziert gewesen sei. Letztlich habe aber auch der Gutachter die Kausalität zwischen der Therapie und der Lorazepam-Abhängigkeit der Klägerin bejaht, die Abhängigkeit sei aber - wie er ausgeführt habe - von den Ärzten billigend in Kauf genommen worden. Schließlich sei auch die zeitweise Unterbringung der Klägerin auf dem Gang fehlerhaft gewesen, was der Gutachter nicht im Kontext der Gesamtbehandlung gewürdigt habe.
Sie beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, dass aber 30.000,- EUR nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 04.12.2012 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche zukünftigen weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche ihr aus der fehlerhaften Behandlung aus der Zeit vom 12.01.2009 bis zum ...