Leitsatz (amtlich)
Vor der Behandlung mit Benzodiazepinen ist der Patient über die Risiken und Nebenwirkungen dieser Medikation aufzuklären; einer gesonderten Aufklärung über das Suchtpotential dieser Arzneimittelgruppe bedarf es hingegen grundsätzlich nicht.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 1639/14) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.06.2018 wird aufgehoben.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Die Beklagte ist der Klägerin nicht wegen einer Aufklärungspflichtverletzung zu Schadenersatz verpflichtet.
1. Grundsätzlich ist der Patient über die Risiken einer Medikation und somit auch über die Nebenwirkungen eines verordneten Medikaments vor dem ersten Einsatz des Medikaments aufzuklären (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. 2014, Rn. C 49; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 2014, Rn. A 745ff m.w.N.). Die Klägerin erhielt während ihres Aufenthaltes in der psychiatrischen Klinik der Beklagten im Zeitraum vom 14.01.2009 bis zum 01.04.2009 u.a. Lorazepam, ein Medikament aus der Gruppe der Benzodiazepine, zu deren Risiken bei längerfristiger Einnahme die Entwicklung einer Suchtproblematik gehört. Ob die Klägerin über dieses Risiko durch die insoweit beweisbelasteten Beklagten aufgeklärt wurde, ist streitig, kann hier aber offenbleiben. Einer ergänzenden Beweisaufnahme bedarf es nicht, da die Beklagten keine gesonderte Aufklärung über das Suchtpotential schuldeten. Zum einen gehört das Risiko, bei einer längeren Einnahme von Benzodiazepinen eine Abhängigkeit zu entwickeln, zu den allgemein bekannten Risiken dieser Arzneimittelgruppe, über das im Streitfall nicht gesondert aufzuklären war. Der Senat geht davon aus, dass das Risiko, eine psychische Abhängigkeit zu entwickeln, der Klägerin als ausgebildeter Krankenschwester, die mehrere Jahre in diesem Beruf gearbeitet hat, bekannt gewesen ist, auch weil sie während der vom Sachverständigen aufgeführten zahlreichen, oft mehrmonatigen stationären Krankenhausaufenthalte in den Jahren 2005 bis 2008, die durch häufige Suizidversuche bzw. -gedanken eingeleitet wurden oder geprägt waren, immer wieder und über längere Zeiträume mit Benzodiazepinen wie Tavor, Diazepam und Lorazepam behandelt wurde, was durch die der Begutachtung zugrundeliegenden Behandlungsunterlagen belegt wird. So findet sich unter anderem in den von dem Sachverständigen herangezogenen Behandlungsunterlagen des Diakoniewerkes Z..., ein Eintrag über eine Behandlung mit Tavor beginnend ab dem 01.10.2007 bis zum 09.03.2008 in wechselnden Dosierungen. Bestätigt wird die Einnahme durch den vom Sachverständigen zitierten Eintrag in den Behandlungsunterlagen vom 16.01.2008, dass "zur Vermeidung eines Entzugsdelirs weiterhin Tavor in geringer Dosis gegeben wird". Aus den Behandlungsunterlagen des Hausarztes Dr. R. ergibt sich eine Entlassungsmedikation des Diakoniewerkes Z... bezogen auf den Aufenthalt vom 15.08. -01.10.2008 u.a. mit Diazepam mit einer täglichen Dosis von 4 × 1 mg. Zu Beginn der Behandlung in der Tagesklinik H. im Zeitraum vom 13.11. - 05.12.2008 gibt die Klägerin an, in den letzten fünf Jahren Tavor mit einer täglichen Dosis von 4 × 1 mg eingenommen zu haben. Das Benzodiazepin Diazepam wurde auch durch den Hausarzt Dr. R. am 01.10.2008 rezeptiert, wie der Sachverständige festgestellt hat. Unmittelbar vor dem streitgegenständlichen Aufenthalt bei der Beklagten rezeptierte der behandelnde Hausarzt am 07.12. und erneut am 08.12.2008 zudem das Medikament Tavor. Schließlich führte die Klägerin bei Aufnahme bei der Beklagten Lorazepam bei sich. Eine Kontrolle der Blutwerte durch die Beklagten am 14.01.2009 ergab zudem einen positiven Benzodiazepinspiegel, obwohl die Klägerin nach ihrer Behauptung das verschriebene Tavor nicht eingenommen haben will.
Der Umstand, dass die Klägerin das Medikament Tavor von ihrem Hausarzt nach ihrem eigenen Vortrag für den "Notfall" bekommen habe, belegt gleichfalls, dass sie über die Risiken einer Dauermedikation aufgeklärt war und ihr diese bewusst gewesen sind, da sie anderenfalls nicht davon ausgegangen wäre, dass das Medikament nur im Notfall zu nehmen ist. Schließlich wird in den im Internet abrufbaren jeweiligen Packungsbeilagen der Medikamente Lorazepam, Tavor und Diazepam das R...