Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 31. Mai 2023, VK 1-35/23, aufgehoben und der Antragsgegnerin untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.
2. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht und fortwirkender Angebotsbindung den Zuschlag auf das verfahrensgegenständliche Angebot der Antragstellerin zu erteilen.
3. Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer und die der Antragstellerin in diesem Verfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsgegnerin und die Beigeladene als Gesamtschuldnerinnen zu tragen.
4. Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vor der Vergabekammer notwendig war.
5. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 65.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin schrieb mit Bekanntmachung vom 15. April 2022 im offenen Verfahren den Schleusendecksdienst der Seeschleuse X. für den Zeitraum vom 1. Juli 2022 bis zum 30. Juni 2023 mit der einmaligen Möglichkeit der Verlängerung um zwölf Monate EU-weit aus (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer ...). Gefordert war die Durchführung des Schleusendecksdienstes auf der Seeschleuse im Vorhafen / Marinestützpunkt einschließlich des Fest- und Losmachens von Schiffen in den Schleusenkammern, des Erstellens und Lösens sicherer Laufgänge sowie des Fest- und Losmachens der Großschiffe des Auftraggebers im Vorhafen (Ziffer II.2.4 der Bekanntmachung). Einziges Zuschlagskriterium war der Preis (Ziffer II.2.5 der Bekanntmachung).
Die Antragstellerin, die Bestandsbieterin, und die Beigeladene gaben jeweils fristgerecht Angebote ab. Mit Schreiben vom 26. Juni 2022 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 134 GWB über die beabsichtigte Erteilung des Zuschlags an die Beigeladene. Nach erfolgloser Rüge reichte die Antragstellerin am 3. Juli 2022 einen ersten Nachprüfungsantrag ein (VK 1-71/22), woraufhin die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 8. Juli 2022 erklärte, das Vergabeverfahren im Hinblick auf Mängel bei der Bekanntmachung der Eignungskriterien in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen.
Mit Bekanntmachung vom 12. September 2022 (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer ...) änderte die Antragsgegnerin die Ursprungsbekanntmachung dahingehend, dass die Laufzeit anstelle des datumsmäßig benannten Zeitraums zwölf Monate beträgt, mit Bekanntmachung vom 27. September 2022 (Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union, Bekanntmachungsnummer ...) fasste sie die Eignungskriterien unter Ziffer VII.1.2 abschließend neu. Der Bieter hatte sich nunmehr nach Ziffer III.1.2 zum Umsatz in den letzten drei Geschäftsjahren zu erklären, sofern entsprechende Angaben verfügbar seien. Nach III.1.3 der Bekanntmachung, Technische und berufliche Leistungsfähigkeit, hatte er sich über das jährliche Mittel der Beschäftigten und Führungskräfte der letzten drei Jahre (Buchstabe a) sowie zu zwingenden und fakultativen Ausschlussgründen (Buchstaben c und d) zu äußern. Zudem hatte der Bieter sich nach Buchstabe e) zu innerhalb der letzten drei Jahre erbrachten Leistungen zu erklären, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind, durch Anziehen von mindestens einer Referenzleistung. Nach Buchstabe f) waren gewisse Mindestqualifikationen des Personals nachzuweisen.
Nach der Leistungsbeschreibung ist ein durchgehender Festmacherbetrieb zu gewährleisten (24/7), wobei während der regulären Betriebszeiten die Schiffe grundsätzlich mit drei Festmachern fest- und loszumachen sind. In den Nachtzeiten von 23.00 bis 5.00 Uhr beziehungsweise freitags von 22.00 bis 5.00 Uhr sowie am Wochenende ist der Festmacherdienst auf Aufforderung zu erbringen. Insgesamt werden pro Jahr circa 3.600 Schiffe geschleust.
Die Antragstellerin und die Beigeladene reichten wiederrum fristgerecht Angebote ein. Mit Schreiben vom 22. November 2022 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin gemäß § 134 GWB über die beabsichtigte Erteilung des Zuschlags an die Beigeladene. Die Antragstellerin rügte die beabsichtigte Auftragserteilung an die Beigeladene mit Schreiben vom 29. November 2022. Deren Angebot sei unauskömmlich, zudem sei die Beigeladene mangels ausreichender Umsätze und Personals sowie aufgrund des Fehlens vergleichbarer Referenzen ungeeignet. Die Antragsgegnerin klärte daraufhin die Preiskalkulation der Beigeladen auf und führte mit ihr ein Aufklärungsgespräch über ihre Eignung. Anschließend verneinte sie die Eignung der Beigeladenen, weil die vorgelegte Referenz vom Leistungsumfang und Schwierigkeitsgrad her mit der ausgeschriebenen Leistung nicht vergleichbar sei. Sie informierte beide Bieter sodann nach § 134 GWB, dass nunmehr beabsichtigt sei, der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen.
Nach...