Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.04.2005) |
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten "wegen Beleidigung in fünf Fällen, davon in Tateinheit in vier Fällen wegen Verleumdung, in Tatmehrheit mit versuchter Nötigung" zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht - nach teilweiser Einstellung oder Beschränkung des Verfahrens - das angefochtene Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen Beleidigung in fünf Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge vorläufig Erfolg, weil die Schuldsprüche von den Feststellungen nicht getragen werden. Auf die Verfahrensrügen braucht deshalb nicht eingegangen zu werden.
1. Das Verfahren betrifft Äußerungen des Angeklagten - in drei Fällen auf Internetseiten, in einem Fall auf Flugblättern, die er in Fußgängerzonen verteilt hat, und in einem Fall auf öffentlich ausgehängten Plakaten -, die mit der fristlosen Kündigung seiner Anstellung als Bezirksdirektor der Provinzial Versicherung durch den Arbeitgeber und seiner erfolglosen Kündigungsschutzklage zusammenhingen. Die Texte und Bilder, mit denen der Angeklagte den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts (Fall 1) und den Nebenkläger Dr. ......... (Fälle 2 - 5), damals Vorstandsvorsitzender der Provinzial, beleidigt haben soll, hat das Landgericht jeweils in der Weise festgestellt, dass es auf der Internetseite, dem Flugblatt oder dem Plakat "unter anderem" geheißen habe (...). Eine solche auszugsweise Wiedergabe von Äußerungen kann einen Schuldspruch wegen Beleidigung, § 185 StGB, durch - nach Ansicht des Landgerichts - Schmähkritik nicht rechtfertigen:
a) Bei der Anwendung des § 185 StGB verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Beschuldigten. Die Meinungsfreiheit tritt zwar regelmäßig hinter den Ehrschutz zurück, wenn es sich um herabsetzende Äußerungen handelt, die eine Schmähung der angegriffenen Person darstellen (BVerfG, 1 BvR 2097/02 vom 12. Juli 2005, Abs. 13 ≫bverfg.de≪). Wegen des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik jedoch eng auszulegen. Eine Schmähung liegt nicht schon wegen der herabsetzenden Wirkung einer Äußerung für Dritte vor, selbst wenn es sich um eine überzogene oder ausfällige Kritik handelt. Vielmehr nimmt eine herabsetzende Äußerung erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Hält der Tatrichter eine Äußerung fälschlich für eine Schmähung mit der Folge, dass eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unterbleibt, so liegt darin ein sachlich-rechtlicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt, wenn diese darauf beruht (vgl. BVerfG NJW 2003, 3760; BVerfG, 1 BvR 1917/04 vom 23. August 2005, Abs. 22 ≫bverfg.de≪; jeweils mwN).
b) Maßgebend für Inhalt und Bedeutung einer Aussage ist der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (BVerfG, 1 BvR 1696/98 vom 25. Oktober 2005, Abs. 31 ≫bverfg.de≪). Dabei sind Anlass und Kontext der Äußerung (ihre "Einbettung", BVerfG vom 23. August 2005, Abs. 24) zu berücksichtigen, soweit sie für den Empfänger (Leser, Hörer, Zuschauer, Betrachter) erkennbar sind. Ob das hier und ohne Rechtsfehler geschehen ist, kann der Senat nicht überprüfen, weil Internetseiten, Flugblätter und Plakate die Äußerungen, die das Landgericht als Beleidigungen bewertet hat, nur "unter anderem" enthielten und die sonstigen Inhalte - die "Einbettung" der Äußerungen - nicht festgestellt sind. Demnach bleibt unklar, ob sich die ehrverletzenden Äußerungen des Angeklagten fern jedes sachlichen Anliegens in der Diffamierung der betroffenen Personen erschöpften.
2. Wegen dieses Mangels ist das angefochtene Urteil nach §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückzuverweisen.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass
- sich aufdrängt, den Nebenkläger Dr. Michaels zu den Fragen, die ihn betreffen, als Zeugen zu vernehmen,
- behauptete Tatsachen, die zugunsten des Angeklagten nach § 244 Abs. 3 Satz 2 letzter Fall StPO als wahr unterstellt werden, in ihrem wirklichen Sinn ohne jede Einengung, Verschiebung oder sonstige Änderung, also ohne jeden Abstrich als wahr behandelt werden müssen (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. [2005], § 244 Rdnr. 71 mwN).
Fundstellen
Haufe-Index 2648253 |
www.judicialis.de 2006 |