Leitsatz (amtlich)
StPO §§ 140 Abs. 2
Die mögliche Verurteilung eines Angeklagten zu (höchstens) sechs Monaten Freiheitsstrafe und der drohende Widerruf der Aussetzung einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe zur Bewährung rechtfertigen allein noch keine Bestellung eines Pflichtverteidigers. Eine Beiordnung hängt vielmehr auch von der Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten, seiner Persönlichkeit und den Umständen des Einzelfalles ab.
Tenor
Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Gründe
Durch - nicht rechtskräftiges - Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach ist gegen den Angeklagten eine sechsmonatige Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln verhängt worden. Im Berufungsverfahren hat der Vorsitzende der 9. kleinen Strafkammer des Landgerichts Mönchengladbach den Antrag des Angeklagten auf Beiordnung seiner bisherigen Wahlverteidigerin als Pflichtverteidigerin durch den angefochtenen Beschluß abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten.
Das Rechtsmittel ist zwar statthaft, denn bei der Ablehnung eines Antrags auf Bestellung eines Pflichtverteidigers handelt es sich nach herrschender Meinung nicht um eine im Sinne des § 305 S. 1 StPO "der Urteilsfällung vorausgehende" und damit der Anfechtbarkeit entzogene Entscheidung (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Auflage, § 141 Rn. 10 m. w. N. ). In sachlicher Hinsicht ist die Beschwerde des Angeklagten indes nicht erfolgreich, da ein Fall notwendiger Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorliegt. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 9. Oktober 2000 an, die lauten:
"Weder die Schwere der Tat noch die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage lassen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheinen. Auch ist nicht ersichtlich, daß der Angeklagte sich nicht selbst verteidigen kann.
Die Schwere der Tat beurteilt sich in erster Linie nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung (BGHSt Bd. 6, S. 199; OLG Düsseldorf in VRS 92, S. 24; 95,S. 411; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl. , § 140 Rdnr. 23 m. w. N. ). Die durch das Amtsgericht Mönchengladbach verhängte Freiheitsstrafe von sechs Monaten allein, die in der Berufungshauptverhandlung nicht erhöht werden kann, kennzeichnet die Tat noch nicht als schwer, denn die Rechtsprechung tendiert dahin, bei einer Straferwartung ab einem Jahr Freiheitsstrafe die Schwere der Tat zumindest dann zu bejahen, wenn die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wird (OLG Düsseldorf, JMBl. NW 2000, 123 f. ; vgl. auch KK-Laufhütte, StPO, 4. Aufl. , § 140 Rdnr. 27). In die bei der Beurteilung der Schwere der Tat gebotene Gesamtwürdigung sind auch dem Angeklagten infolge der Verurteilung entstehende oder drohende mittelbare Nachteile einzubeziehen insbesondere der drohende Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung. Hier hat der Angeklagte bei Bestand der erstinstanzlichen Verurteilung und insbesondere bei Versagung einer Strafaussetzung den Widerruf einer ihm durch Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 14. Oktober 1999 für eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten zugebilligte Strafaussetzung zur Bewährung zu gewärtigen. Die ihm danach insgesamt drohende Strafvollstreckung von einem Jahr kennzeichnet die Tat jedoch noch nicht als schwer. Eine Straferwartung von einem Jahr ist nicht als starre Grenze anzusehen. Ob ein Verteidiger zu bestellen ist, hängt vielmehr auch von der Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten, seiner Persönlichkeit und den Umständen des Einzelfalles ab.
Die Hauptverhandlung der ersten Instanz dauerte eine Stunde; der Angeklagte hat ausführlich auch auf Vorhalt Angaben zur Tat und zu seinen Beweggründen gemacht. Die Zusammenfassung des Tatgeschehens durch das Amtsgericht Mönchengladbach in den Urteilsgründen bedurfte lediglich vier Zeilen. Danach ist nicht zu erwarten, daß bei einer Berufungshauptverhandlung, die sich im Wesentlichen mit der Frage zu befassen hat, ob eine zu verhängende Freiheitsstrafe dem Angeklagten noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann, der Angeklagte gerade in Bezug auf diese Fragestellung nicht in der Lage sein könnte, sich ordnungsgemäß und sinnvoll zu verteidigen. "
Fundstellen
Haufe-Index 2571772 |
NStZ-RR 2001, 52 |
www.judicialis.de 2000 |