Entscheidungsstichwort (Thema)
Squeeze-out: Bestimmung der Barabfindung nach einer am Börsenkurs orientierten Schätzung des "wahren Wertes" des Unternehmensanteils
Leitsatz (amtlich)
Im Fall hinreichender Marktliquidität kann der Börsenkurs der zu bewertenden Gesellschaft im Einzelfall auch dann zur Bestimmung des inneren Wertes des Gesellschaftsanteils herangezogen werden, sofern ein knappes Jahr vor dem Bewertungsstichtag ein öffentliches Übernahmeangebot abgegeben worden ist und eine überschlägige Ertragswertberechnung keinen höheren inneren Wert nahelegt.
Normenkette
AktG § 327b Abs. 1 S. 1; SpruchG § 1; UmwG § 62 Abs. 5 S. 8
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 21.07.2022; Aktenzeichen 3-05 O 57/21) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Juli 2022 wird im Eingangssatz wegen offensichtlicher Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass sie nach mündlicher Verhandlung vom 21.7.2022 am 21.7.2022 beschlossen wurde.
Die Beschwerden der Antragsteller zu 3), 7) bis 12), 14), 24) bis 26), 30), 31), 32), 33), 37), 38) 39), 40) und 41), 45) bis 49) und 61) gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Juli 2022 werden zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Vergütung des gemeinsamen Vertreters der außenstehenden Aktionäre trägt die Antragsgegnerin. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Antragsteller waren Aktionäre der X AG (im Folgenden X AG), deren Aktien im Regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse seit dem 20. April 2000 gehandelt und seitdem im Prime Standard notierten. Das Grundkapital der Gesellschaft in Höhe von 21.914.444 EUR war in 21.914.444 auf den Inhaber lautende, nennwertlose Stückaktien eingeteilt. Zum Zeitpunkt der beschlussfassenden Hauptversammlung am 15. Dezember 2020 hielt die X AG 27.700 eigene Anteile. Hauptaktionärin mit einem Anteil von 92,31 % war die damalige Y AG, auf die die X AG verschmolzen ist und die ab diesem Zeitpunkt unter X AG firmierte. In der Folge wurde die X AG in die Rechtsform einer GmbH umgewandelt und firmiert seitdem unter X1 GmbH.
Die X AG mit Sitz in Stadt1 war im Handelsregister des Amtsgerichts Stadt1 eingetragen. Das Geschäftsjahr begann am 1. Oktober und endete am 30. September des Folgejahres. Gegenstand des Unternehmens war die Entwicklung, das Marketing, der Einsatz und der Vertrieb von Produkten, Systemen, Anlagen und Dienstleistungen auf den Gebieten der Bildverarbeitungs-, Automatisierungs-, Software- und Robotertechnologie. Die Gesellschaft gehörte zu den marktführenden Unternehmen auf dem Gebiet der Oberflächeninspektions- und der Bildverarbeitungssysteme, mit Spezialisierung im Bereich der 3D- Machine Vision. Unter maschinellem Sehen werden industrielle Anwendungen verstanden, mit denen auf Basis visueller Systeme Maschinen geführt, Prozesse gesteuert oder überwacht sowie Qualität und Maßhaltigkeit geprüft werden können. Die Geschäftstätigkeit unterteilte sich in zwei Segmente, nämlich Surface Vision und Industrial Automation. Im Segment Surface Vision, das der Oberflächeninspektion zuzurechnen ist, werden die Oberflächen während und nach der Produktion gescannt und auf ihre Unversehrtheit kontrolliert. Das Leistungsspektrum der X AG umfasste überwiegend Systeme zur Oberflächeninspektion von Bahnwaren und ähnlichen Materialien. Zu den Produkten zählten Sensoren, hochauflösende Kameras und Software, die eine bei der Produktion frühzeitige Fehlererkennung ermöglichen. Im Segment Industrial Automation, das der Produktionsautomatisierung zuzurechnen ist, wurden Anwendungen und Produkte im Bereich Robot Vision/Guidance/Inline Messtechnik und Qualitätskontrolle für die diskrete Produktion gebündelt. Erfasst sind Anwendungen für die Automatisierung von Prozessen, optische Lösungen für die Roboterautomatisierung und Inline-Vermessung für die diskrete Produktion. Die Inline-Vermessung ist ein Sensorsystem für hochpräzise 3D - Geometrieprüfungen von Kanten, Flächen, alle Arten von Löchern etc mit direkter Integration in die Fertigungslinie. Hauptabsatzmärkte sind China, Deutschland und die USA.
Am 10. Februar 2020 kündigte die Y AG ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot für die Gesellschaft in Höhe von 50 EUR an, in dessen Folge der Kurs der Gesellschaft sprunghaft auf etwa 50 EUR anstieg (vgl. Prüfbericht S. 134). Bis zum Ende der verlängerten Annahmefrist am 29. April 2020 einschließlich wurde das Übernahmeangebot für insgesamt 17.205.199 X AG Aktien (ca. 78,51 % des Grundkapitals und der Stimmrechte) angenommen (Bd. XLIV Bl. 293 d. A.).
Mit Schreiben vom 3. August 2020 informierte die Y AG, dass sie eine Verschmelzung mit Ausschluss der Minderheitsaktionäre der X AG beabsichtigt. Zum Zweck der Durchführung der geplanten unternehmerischen Maßnahme beauftragte die Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin die Z AG Wirtschaftspr...