Entscheidungsstichwort (Thema)
Einschlaf-Kapseln mit Zusatz von 0,5 mg Melatonin und empfohlener Tagesverzehrmenge von bis zwei Kapseln sind keine Funktionsarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) AMG (Melatonin-Einschlaf-Kapseln)
Leitsatz (amtlich)
1. Die restriktive Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) AMG im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Funktionsarzneimittel und Lebensmittel gilt unabhängig davon, wie die Auswirkungen auf den Stoffwechsel des menschlichen Körpers beschaffen sind. Weder der Rechtsprechung des EuGH noch der des BGH lässt sich entnehmen, dass dem Merkmal der "nennenswerten Auswirkungen" ein wertendes Element hinsichtlich der Art der Auswirkungen immanent ist. Es geht vielmehr darum, Stubstanzen von der Zulassungspflicht auszunehmen, die auch über die normale Nahrung in entsprechender Dosis aufgenommen werden.
2. "Schneller-Einschlafen-Kapseln" mit 0,5 mg Melatonin pro Kapsel und einer Einnahmeempfehlung von ein bis zwei Kapseln täglich wirken sich nicht nennenswert auf den Stoffwechsel im Körper aus und entfalten daher nicht die Wirkung eines Funktionsarzneimittels.
Normenkette
AMG § 2 Abs. 1 Nr. 2a, § 21; UWG §§ 3, 3a
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 19.11.2014; Aktenzeichen 2-6 O 246/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 19.11.2014 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht einen lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruch bezüglich des Inverkehrbringens von Produkten mit einem Zusatz von Melatonin und einer empfohlenen Tagesverzehrmenge von 0,5 mg Melatonin geltend, wenn diese nicht als Arzneimittel zugelassen sind.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, dessen Zweck in der Durchsetzung lautere Heilmittelwerbung besteht. Zu seinen Mitgliedern zählen Vertreter und Unternehmen der pharmazeutischen Industrie.
Die Beklagte vertreibt unter der Bezeichnung "A" Nahrungsergänzungsmittel und diätetische Lebensmittel. Zu ihrem Sortiment gehört auch das als Nahrungsergänzungsmittel in den Verkehr gebrachte Produkt "Schneller-Einschlafen-Kapseln". Das Produkt enthält - neben Zitronenmelisse - pro Kapsel 0,5 mg Melatonin. Zur Verkürzung der Einschlafzeit empfiehlt die Beklagte die Einnahme von zwei, im Falle eines Jetlags vom 1. bis 5. Tag nach der Ankunft in einer anderen Zeitzone von ein bis zwei Kapseln täglich. Der bestimmungsgemäße Gebrauch des Produkts der Beklagten führt demnach zu einer Aufnahme von 0,5 mg bis 1 mg Melatonin pro Tag.
Der Kläger mahnte die Beklagte im Mai 2014 ab, da er die Verkehrsfähigkeit des Produkts als Lebensmittel beziehungsweise Nahrungsergänzungsmittel aufgrund dessen pharmakologischer Wirkung als nicht gegeben ansieht.
Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen seiner tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 S. 1 ZPO), hat die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verurteilt, es zu unterlassen, Produkte mit einem Zusatz von Melatonin und einer empfohlenen Tagesverzehrmenge von 0,5 mg Melatonin oder mehr als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen. Zur Begründung hat es ausgeführt, solche Produkte seien als Funktionsarzneimittel einzustufen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 25.2.2016 (Bl. 942 d.A.), ergänzt unter dem 13.1.2020 (Bl. 1409 d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen C vom 13.3.2020 verwiesen.
Der Kläger hat beantragt, das Gutachten wegen inhaltlicher und fachlicher Mängel nicht zu verwerten.
II. Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3, 3a (4 Nr. 11 a.F.) UWG i.V.m. § 21 AMG zu, da er nicht nachweisen konnte, dass es sich bei den Produkten der angegriffenen Art um Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) AMG handelt.
A) Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 a) AMG sind unter anderem anzunehmen, wenn es sich bei den streitgegenständlichen Produkten um Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen handelt, die im oder am menschlichen Körper angewendet werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen.
1. Der Begriff des Funktionsarzneimittels ist dabei im Sinne des europäischen Arzneimittelbegriff...