Leitsatz (amtlich)
Eine mögliche zukünftige Rückfallgefahr bei der Kindesmutter, die früher Drogen konsumiert hat, rechtfertigt nicht die Annahme, dass aktuell eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes bei einer Rückkehr in den mütterlichen Haushalt zu erwarten ist.
Normenkette
FamFG § 64 Abs. 3; BGB § 1632 Abs. 4, §§ 1666, 1666a
Verfahrensgang
AG Dortmund (Beschluss vom 12.04.2011; Aktenzeichen 113 F 6258/10) |
Tenor
Der Antrag der Antragsteller vom 19.5.2011, der als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses vom 12.4.2011 auszulegen ist, wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Entscheidung beruht auf § 64 Abs. 3 FamFG.
Der Antrag der Antragsteller vom 19.5.2011, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen, ist als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszulegen.
Gemäß § 64 Abs. 3 FamFG kann das Beschwerdegericht vor einer endgültigen Entscheidung über die Beschwerde eine einstweilige Anordnung erlassen und insbesondere anordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen ist. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist ein dringendes Bedürfnis, das ein Abwarten der endgültigen Entscheidung nicht zulässt und dass eine Endentscheidung im Sinn der zunächst vorläufigen Maßregel wahrscheinlich ist (vgl. Keidel-Sternal, FamFG, 16. Aufl., § 64 Rz. 59).
Ein dringendes Bedürfnis für den Erlass der einstweiligen Anordnung ist zwar vorliegend gegeben, da nach Mitteilung des Jugendamtes der Stadt E vom 6.6.2011 die Rückführung des Kindes in den Haushalt der Kindesmutter zum 10.6.2011 geplant ist.
Der Antrag war jedoch zurückzuweisen, da der Erlass einer Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Antragsteller im vorliegenden Fall bei der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht überwiegend wahrscheinlich ist.
Die Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB dient dem Schutz von Kindern, die sich in Dauerpflege befinden, und kommt in Betracht, sofern diese in ihrer Entwicklung gefährdet werden, wenn ihre leiblichen Eltern sie zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausnehmen wollen (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 70. Aufl., § 1632 Rz. 9). Die Herausgabe des Kindes an die Eltern darf nur dann versagt werden, wenn durch die Wegnahme von der Pflegeperson das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet würde (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., Rz. 13 m.w.N.). Das Herausgabeverlangen von Eltern scheitert deshalb nicht schon dann, wenn das Kind bei den Pflegeeltern gut versorgt wird oder diese sogar geeigneter erscheinen als die leiblichen Eltern (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., m.w.N.). Das natürliche Vorrecht der Eltern hat nur dann zurückzutreten, wenn die langfristige Verlagerung der Beziehungen des Kindes mit seinem Wohl nicht vereinbar ist, d.h. wenn die Aufenthaltsänderung bei dem Kind zu nicht unerheblichen körperlichen oder seelischen Schäden führt oder führen kann (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., m.w.N.). Die ganze Regelung steht unter dem Verhältnismäßigkeitsprinzip; erforderlich sind verschiedene Abwägungen (vgl. Palandt/Diederichsen, a.a.O., Rz. 14).
Insofern ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiert. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt, wobei dieses natürliche Recht den Eltern nicht vom Staat verliehen worden ist, sondern von diesem als vorgegebenes Recht anerkannt wird. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. Diese primäre Entscheidungszuständigkeit der Eltern beruht auf der Erwägung, dass die Interessen des Kindes am besten von den Eltern wahrgenommen werden. Dabei wird die Möglichkeit in Kauf genommen, dass das Kind durch einen Entschluss der Eltern Nachteile erleidet. In der Beziehung zum Kind muss das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein. Eine gerichtliche Entscheidung, nach der die Trennung des Kindes von seinen Eltern fortdauern kann, ist mit dem in Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG gewährleisteten Elternrecht nur dann vereinbar, wenn ein schwerwiegendes - auch unverschuldetes - Fehlverhalten und entsprechend eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls vorliegen. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG zukommenden Wächteramtes, diese von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen. Das elterliche Fehlverhalten muss daher ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhalt...