Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellung. Jahreszusammenhang. Fehltage
Leitsatz (amtlich)
Bei der gerichtlichen Überprüfung der Nichtgewährung von Freistellungstagen nach § 42 StVollzG wegen zu vieler Fehltage ist zunächst ggf. eine Entscheidung über die Anrechnung von Fehlzeiten als Ermessensentscheidung der Vollzugsbehörde zu überprüfen, weiter dann ggf. die Behandlung nicht mehr anrechenbarer Fehlzeiten, welche die Jahresfrist des § 42 StVollzG hemmen oder unterbrechen können.
Normenkette
StVollzG § 42
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen V StVK 96/14) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bochum zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Betroffene hat sich mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Ablehnung der Bewilligung von Freistellung von der Arbeitspflicht durch die Justizvollzugsanstalt C gewandt. Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss ist der Betroffene seit dem 29.07.2013 im Eigenbetrieb "Buchbinderei" beschäftigt. Bis zum 30.05.2014 hat er ein Fehlzeitenkontigent von 44 Tagen erreicht. Diese Fehlzeiten, die nicht auf Krankheit beruhten, sollen von der Justizvollzugsanstalt auf den Jahreszeitraum nach § 42 Abs. 1 StVollzG angerechnet worden sein. Am 04.06.2014 hatte der Betroffene einen weiteren Fehltag. Die Justizvollzugsanstalt war der Ansicht, dass ab dem 45. Fehltag der Jahreszeitraum unterbrochen worden sei und neu begonnen hätte, so dass die Voraussetzungen für eine Freistellung nicht vorgelegen hätten.
Den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bochum als unbegründet zurückgewiesen. Sie ist der Meinung, dass es nicht ermessensfehlerhaft sei, wenn die Justizvollzugsanstalt bei deutlich mehr als 30 Fehltagen ab dem 45. Fehltag eine Unterbrechung des Jahreszeitraums annehme. Eine bloße Hemmung liege nicht vor, da hierfür Voraussetzung sei, dass die geleistete Arbeit auch bei großzügiger Betrachtung noch den Zusammenhang mit "einem Jahr" wahrt.
Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung "formellen und materiellen Rechts" rügt. Er stellt heraus, dass die Fehlzeiten nicht auf seinem Verschulden beruhten, sondern auf Personalmangel in der Justizvollzugsanstalt.
II.
Die - auch im Übrigen zulässige - Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 116 StVollzG). Die Ausführungen im angefochtenen Beschluss lassen besorgen, dass der Entscheidung ein grundlegendes Fehlverständnis vom Verhältnis anrechenbarer Fehlzeiten zur Behandlung nicht (mehr) anrechenbarer Fehlzeiten zu Grunde liegt (dazu unten III.), welches dazu führen könnte, dass auch in Zukunft Entscheidungen, denen ein solches Verständnis zu Grunde liegt, getroffen werden. Dies könnte zu einer Zersplitterung der Rechtsprechung führen.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung und zur Zurückverweisung der Sache (§ 119 Abs. 4 StVollzG).
Die bisherigen Feststellungen der Strafvollstreckungskammer tragen es nicht, wegen des 45. Fehltages von einer Unterbrechung der Jahresfrist des § 42 Abs. 1 StVollzG auszugehen.
Bei nicht krankheitsbedingten Fehlzeiten fehlt es an einer gesetzlichen Regelung, wie sich solche auf den Erwerb des Freistellungsanspruchs binnen Jahresfrist nach § 42 Abs. 1 StVollzG auswirken. Danach bleibt offen, ob und in welchem Umfang in solchen Fällen überhaupt eine Anrechnung stattfindet. Bei nicht anrechenbaren Fehlzeiten ist weiter offen, ob diese zu einer Hemmung der Jahresfrist (mit der Auswirkung, dass der Urlaubsanspruch erst innerhalb einer verlängerten Frist erworben werden kann) oder zu einer Unterbrechung führt (d.h., dass die Jahresfrist nach Ende der Fehlzeit von neuem begönne; vgl. zum Ganzen Walther in: Beck-OK-StVollzG, § 42 Rdn. 5 f.).
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 21.02.1984 (NStZ 1984, 572) ist § 42 Abs. 1 StVollzG nicht so auszulegen, dass der Gefangene etwa ein Jahr lang an allen Werktagen gearbeitet haben muss. Auch verschuldete Fehlzeiten müssen nicht zwingend zu einer Unterbrechung des Jahreszeitraums führen. Dies ist in der Rechtsprechung dahingehend umgesetzt worden, dass es in einem Fall, in dem es nicht mehr angemessen ist, Fehltage auf die Jahresfrist anzurechnen, es nicht zur Unterbrechung, sondern zur Hemmung der Jahresfrist kommt und der Gefangene dann erst nach Ablauf von ggf. erheblich mehr als einem Jahr ab Arbeitsaufnahme "ein Jahr lang" Tätigkeit ausgeübt hat (BGHSt 35, 95; OLG Hamm MDR 1989, 764). Bei längeren, nicht mehr anrechenbaren Fehlzeiten, bei denen auch bei großzügiger Betrachtungsweise nicht ernstlich mehr davon gesprochen werden kann, der Gefangene habe "ein Jahr" gearbeitet, wird die Jahresfrist hingegen unterbrochen (OLG Hamm, Beschl. v. 17.04.2007 - 1 Vollz(Ws)...