Leitsatz (amtlich)
Kauert ein 11 ½-jähriges Kind mit seinem Roller in Höhe einer Querungshilfe zur Fahrbahn hin am Boden, weil es die Schnürbänder seiner Schuhe richtet, muss sich der nahende Fahrzeugführer gem. § 3 Abs. 2a StVO darauf einrichten, dass das Kind plötzlich unachtsam die Fahrbahn betreten könnte, weil dessen Gebaren - offensichtliche Unaufmerksamkeit ggü. dem Fahrverkehr - kein Vertrauen auf verkehrsgerechtes Verhalten begründet.
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 31.07.2006; Aktenzeichen 3 O 142/04) |
Tenor
Die Berufungen des Klägers sowie der Beklagten gegen das am 31.7.2006 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Essen werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu einem Drittel und den Beklagten zu zwei Dritteln auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jede Partei darf die Zwangsvollstreckung der anderen gegen Sicherheitsleistung O i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der jeweilige Vollstreckungsgläubiger in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
A. Der am 24.11.1992 geborene Kläger begehrt im Wege des Feststellungsantrags vollen materiellen und immateriellen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 23.7.2003 gegen 15:00 Uhr auf der N-Straße (B 51) innerorts von T3, bei dem er mit dem von der Beklagten zu 1 (nachfolgend nur Beklagte) geführten Pkw Fiat Punto kollidierte, als er versuchte, mit einem Tretroller (sog. "City-Roller") die Fahrbahn an einer durch eine Mittelinsel und abgesenkte Bordsteine gebildeten Querungshilfe von - aus Sicht der Beklagten - rechts nach links zu überqueren.
Das LG hat nach Vernehmung von Zeugen und sachverständiger Beratung durch den Dipl.-Ing. T dem Klagebegehren zu zwei Dritteln aus §§ 7 StVG, 823 BGB, 3 Ziff. 1 PflVG entsprochen. Es hat bei seiner Haftungsabwägung gem. §§ 254 BGB, 9 StVG der Beklagten eine im Hinblick auf das für sie am Fahrbahnrand erkennbare Kind unangemessene Geschwindigkeit und dem Kläger ein leichtfertiges Queren der Fahrbahn unter Missachtung des herannahenden Fahrzeugverkehrs als Verschulden angelastet.
Wegen des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das angefochtene Urteil einschließlich seiner Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Mit ihren Berufungen verfolgen beide Seiten ihre erstinstanzlichen Anträge weiter und beantragen demgemäß auch, das jeweils gegnerische Rechtsmittel zurückzuweisen. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags reklamieren sie eine Abwägung der Haftungsanteile von 100: O jeweils zu ihren Gunsten.
Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte habe, nachdem sie ihn aus einer Entfernung von 28m in einer von dem Sachverständigen beschriebenen Signalposition habe wahrnehmen können, sein Loslaufen schon aufgrund ihrer Annäherung an eine straßenbauliche Querungshilfe und mehr noch auf Grund der Querung der Fahrbahn an dieser Stelle durch ein ältere Dame - nach seiner Behauptung unmittelbar - vor ihm gewärtigen und sich durch Herabsetzen der Geschwindigkeit darauf einstellen müssen. Ihn selbst treffe hingegen kein Verschulden, da er in der gegebenen Situation darauf habe vertrauen dürfen, die Fahrbahn gefahrlos überqueren zu können. Dies habe er quasi in der "Sogwirkung" der vorausgegangenen Passantin, veranlasst durch eine Geschwindigkeitsherabsetzung der Beklagten getan.
Die Beklagten wollen das Eigenverschulden des Klägers insbesondere unter Berücksichtigung seines schon fortgeschrittenen Kindesalters von 11,5 Jahren zur Unfallzeit schwerer als vom LG gewichtet sehen und stellen ein Verschulden der Beklagten zu 1 in Form des Unterlassens einer Angleichsbremsung schon bei Ansichtigwerden des Klägers, zu dem jene keine Veranlassung gehabt habe, in Abrede. Die Vollbremsung habe sie allenfalls bei Erkennen der Signalposition des Klägers mit einem zurückgestellten Bein 1,5 sec. und 16,7m vor der Kollision einleiten müssen, wofür ihr indes eine Reaktionszeit von 1 sec. statt der vom Sachverständigen berechneten 0,8 sec. zuzubilligen gewesen sei. In diesem Fall hätte bei der in keinem Fall zu vermeidenden Kollision die Geschwindigkeit des Pkw noch über den errechneten 14 km/h gelegen und wäre - so ihr daran anknüpfender erstinstanzlicher Vortrag - durch den Anstoß mit der Fahrzeugfront die Verletzung des Klägers im Ergebnis nicht minder schwer gewesen.
Der Senat hat die Beklagte persönlich gehört. Dazu wird auf den Berichterstattervermerk zum Protokoll der Berufungsverhandlung vom 15.6.2007 verwiesen.
B. Die wechselseitigen Berufungen aller drei Parteien bleiben erfolglos, weil die Abwägung der Haftungsanteile, die das LG gem. §§ 9 StVG, 254 BGB vorgenommen hat, sich im Ergebnis als zutreffend erweist. Auch der Senat gewichtet den von den Beklagten zu verantwortenden Verursachungsanteil doppelt so schwer wie den eigenen des Klägers.
Haftungsbegründend ist gem. § 7 I StVG zunächst die von den Beklagten zu verantwortende Betriebsgefahr des Pkw Fiat Punto. Höhere Gewalt i.S.v. § 7 II StVG mac...