Entscheidungsstichwort (Thema)
Amtshaftung nach dem Einsatz eines Polizeihundes gegen einen Jugendlichen
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Polizeihund gezielt eingesetzt, um durch Bissverletzungen die Festnahme eines Verdächtigen zu ermöglichen, obliegt im Amtshaftungsprozess dem beklagten Land die Beweislast, wenn streitig ist, ob mildere Mittel zur Festnahme ausreichend gewesen wären.
2. Der Hundeführer muss den Polizeihund soweit beherrschen und kontrollieren, dass es normalerweise bei einem einzigen Hundebiss bleibt. Fügt der Polizeihund bei der Festnahme einem 14-jährigen Jugendlichen eine Vielzahl von Bissverletzungen zu, liegt in der Regel eine zumindest fahrlässige Amtspflichtverletzung des Polizeibeamten vor.
3. Es bleibt offen, unter welchen generellen Voraussetzungen der Einsatz eines Polizeihundes als verhältnismäßig angesehen werden kann, wenn durch Bissverletzungen die Festnahme eines Verdächtigen ermöglicht werden soll.
Normenkette
GG Art. 34 S. 1; BGB § 839; StGB § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Ziff. 2; PolG BW § 52
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 17.01.2014; Aktenzeichen 5 O 258/13) |
Tenor
1. Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des LG Freiburg vom 17.1.2014 - 5 O 258/13 - wird zurückgewiesen.
2. Das beklagte Land trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung. Das Urteil des LG ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der am 3.3.1998 geborene Kläger verlangt vom beklagten Land Baden-Württemberg die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld, nachdem er am 24.11.2012 von einem Polizeihund mehrfach gebissen und verletzt wurde.
Der damals 14-jährige Kläger befand sich am Abend des 24.11.2012 mit Freunden im S.-Gelände in F.. Gegen 23 Uhr näherten sich mehrere Polizeifahrzeuge dem Gelände. Die Polizei suchte nach einem Mann, der kurz zuvor an einer nahegelegenen Straßenbahnhaltestelle einen Raub begangen haben sollte. Als sie die Polizeifahrzeuge sahen, rannten der Kläger und einige andere Jugendliche davon. Der Kläger hatte mit dem vorangegangenen Raub nichts zu tun; er wollte jedoch von der Polizei nicht kontrolliert werden, da seine Eltern nicht mitbekommen sollten, dass er sich nicht an ein abendliches Ausgehverbot gehalten hatte.
Zu den im Einsatz befindlichen Polizeibeamten gehörte der Polizeihundeführer PHM S.. Zusammen mit seinem Diensthund verfolgte PHM S. den davonlaufenden Kläger, da er es aufgrund einer ihm mitgeteilten Täterbeschreibung für möglich hielt, dass der Kläger an dem vorausgegangenen Raub beteiligt war. Der Kläger versuchte, sich in der Nähe hinter einer Hecke zu verstecken, indem er sich dort auf den Boden legte. PHM S. entdeckte den Kläger und wollte ihn festnehmen. Zum Zwecke der Festnahme ließ PHM S. den angeleinten Diensthund los, und gab ihm das Kommando, den Kläger zu beißen. Der Diensthund stürzte sich auf den Kläger und fügte diesem eine größere Zahl von Bissverletzungen zu. Nachdem weitere Polizeibeamte an der betreffenden Örtlichkeit eingetroffen waren, wurde der Kläger mit Handschellen gefesselt. Während des polizeilichen Einsatzes wurde nicht nur der Kläger, sondern auch ein anderer Polizeibeamter, der Zeuge A. H., vom Diensthund des Polizeibeamten S. gebissen. Der Kläger wurde von den Polizeibeamten zur Polizeidienststelle gebracht und dort ca. eineinhalb Stunden vernommen. Nachdem die Beamten festgestellt hatten, dass der Kläger mit dem vorausgegangenen Raubüberfall nichts zu tun hatte, wurde er freigelassen. Sowohl der Kläger als auch der Polizeibeamte A. H. begaben sich noch in der selben Nacht in die Universitätsklinik Freiburg zur ärztlichen Behandlung wegen der Hundebisse.
Der Kläger hat erstinstanzlich vom beklagten Land die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangt. Der Einsatz des Polizeihundes, bei welchem der Kläger verletzt wurde, sei aus verschiedenen Gründen unrechtmäßig gewesen. Ein Hundeeinsatz sei schon deshalb nicht geboten gewesen, weil der Kläger gegenüber dem Hundeführer deutlich gemacht habe, dass er bereit gewesen sei, sich festnehmen zu lassen. Zudem habe der Einsatz des aggressiven Diensthundes im Hinblick auf die beim Kläger verursachten Verletzungen jedes vertretbare Maß überschritten. Für die Amtspflichtverletzung des Hundeführers, PHM S., hafte das beklagte Land gem. Art. 34 Satz 1 GG.
Das beklagte Land ist der Klage entgegengetreten. Das Handeln des Polizeibeamten sei rechtmäßig gewesen. Der Einsatz des Polizeihundes sei unter den gegebenen Umständen notwendig und erforderlich gewesen, um den zum damaligen Zeitpunkt eines Raubes verdächtigen Kläger an einer Flucht zu hindern.
Das LG hat mit Urteil vom 17.1.2014 der Klage teilweise stattgegeben, und das beklagte Land zur Zahlung eines Betrags von 2.500 EUR und zur Erstattung von vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. 130,49 EUR, jeweils nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, seit dem 3.1.2013, bzw. seit dem 6.8.20...