Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Erfordernis einer Anschlussberufung im Falle der Umstellung von einer positiven Feststellungsklage auf eine Leistungsklage in zweiter Instanz
Leitsatz (amtlich)
1. Die Berufungsbeklagte, die in erster Instanz ein Feststellungsurteil erstritten hat, kann in der Berufungsinstanz nur dann von einer positiven Feststellungsklage auf eine Leistungsklage umstellen, wenn sie wirksam Anschlussberufung eingelegt hat. Denn sie beschränkt sich damit nicht auf die Abwehr der Berufung der Beklagten gegen das Feststellungsurteil, sondern begehrt durch den Übergang zu einem Leistungsantrag mehr und bestimmt damit die Grenzen des Berufungsverfahrens neu.
2. Wird die bei Dieselfahrzeugen typischerweise jährlich erwartbare Fahrleistung im Bereich zwischen 15.000 und 25.000 km deutlich unterschritten, bildet die pauschalierte Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km die Gesamtnutzungsdauer des Fahrzeugs nicht mehr angemessen ab. Dies rechtfertigt es, für die Schätzung gemäß § 287 ZPO unter Berücksichtigung des Fahrzeugtyps und des Baujahres eine regelmäßige Gesamtnutzungsdauer anstelle der regelmäßigen Gesamtlaufleistung zugrunde zu legen.
Normenkette
ZPO §§ 287, 524
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 13.08.2021; Aktenzeichen 14 O 261/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 13.08.2021, Az. 14 O 261/20, - auch im Kostenpunkt - abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz nach dem Erwerb eines Fahrzeugs, dessen Herstellerin die Beklagte ist, im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal.
Die Klagepartei erwarb mit verbindlicher Bestellung vom 25.11.2016 von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten ein Neufahrzeug VW T6 California Beach Edition 2,0 TDI mit einer Laufleistung von 0 km zum Preis von 53.790 EUR (brutto). Die Erstzulassung des Fahrzeugs datiert auf den 07.06.2017. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 288, Euro 6 sowie einem SCR-Katalysator (selektive katalytische Reduktion) ausgestattet. Am 09.01.2024 betrug der Kilometerstand 43.587 km.
Der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor des Typs EA 288 (Euro 6) ist das Nachfolgemodell des Motors Typ EA 189, der im Jahre 2015 den sogenannten "Diesel-Abgasskandal" auslöste, weil er mit einer Software ausgerüstet worden war, die erkannte, ob sich der Pkw im Prüfstand- oder im Realbetrieb befand und im Prüfstandbetrieb die Stickoxide in den ausgestoßenen Abgasen reduzierte ("Umschaltlogik"). Dies führte in der Folge zu verbindlichen Rückrufbescheiden durch das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) wegen des (nach Auffassung des KBA) Vorliegens unzulässiger Abschalteinrichtungen.
Für das streitgegenständliche Fahrzeug hat das KBA keinen verbindlichen Rückrufbescheid wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung erlassen. Gleiches gilt für sämtliche Fahrzeuge, die mit einem Motor des Typs EA 288 ausgestattet sind. Das Fahrzeug war von einer sog. Konformitätsabweichung, die im Zusammenhang mit der Regeneration des Dieselpartikelfilters (DPF) steht, betroffen. Die Konformitätsabweichung des streitgegenständlichen Fahrzeugs wurde durch ein Software-Update spätestens am 27.02.2020 behoben. Mit Freigabebestätigung vom 19.11.2018 erklärte das KBA, dass in den T6-Fahrzeugen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen zum Einsatz kämen.
Die Motorsteuerungssoftware enthält ein sogenanntes Thermofenster.
In bestimmten Fahrzeugen mit EA 288-Aggregaten mit SCR-Katalysator war jedenfalls ursprünglich eine prüfstandsbezogene Fahrkurvenerkennung hinterlegt, die zum einen bewirkt, dass während eines Testlaufs im sogenannten NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) - anders als außerhalb eines NEFZ - auch nach Erreichen einer Betriebstemperatur des SCR-Katalysators von ca. 200° C an einem Betriebsmodus mit erhöhter AGR-Rate (Abgasrückführungsrate) festgehalten und der sonst automatisiert stattfindende Wechsel in einen Betriebsmodus mit verringerter AGR-Rate unterbunden wird, zum anderen, dass mit der Eindosierung von AdBlue in den SCR-Katalysator bereits ab einer Betriebstemperatur des SCR-Katalysators von ca. 130° C anstelle von ca. 150° C im realen Straßenbetrieb begonnen wird. Ob eine solche Fahrkurvenerkennung auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug hinterlegt ist, ist zwischen den Parteien in Streit.
Dem KBA ist seit Oktober 2015 bekannt, dass bestimmte Fahrzeuge mit EA 288-Aggregaten eine prüfstandsbezogene Fahrkurvenerkennung enthalten.
In Abstimmung mit dem KBA entwick...