Leitsatz (amtlich)
1. Im Falle der durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs erlangten Nutzungsvorteile ist die zeitanteilige lineare Wertminderung im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsmöglichkeit ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln, wobei die maßgebliche Gesamtlaufleistung nach dem (geschätzten) statistischen Mittelwert für ein Fahrzeug gleicher Marke und gleichen Typs anzusetzen ist.
2. Maßgeblich ist dabei nicht nur die reine Motorlaufleistung, die durchschnittlich erreichbar erscheint, sondern auch, dass der Wertverzehr des Fahrzeugs durch dessen Nutzung an sämtlichen Bauteilen eintritt, wobei sich mit zunehmender Nutzungsdauer die Reparaturanfälligkeit eines Fahrzeugs regelmäßig erhöht, so dass für das Fahrzeug (hier: Mercedes-Benz CLA 220 CDI) als Gesamtheit die Gesamtlaufleistung auf 250.000 km geschätzt werden kann.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 1 O 404/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 07.07.2020, Az. 1 O 404/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Berufung des Klägers ist unbegründet.
Dem Kläger stehen die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Unter Berücksichtigung der von dem Kläger erlangten Nutzungsvorteile fehlt es vorliegend bereits am Vorliegen eines bei ihm eingetretenen einklagbaren Vermögensschadens.
Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem/der Geschädigten neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die ihm/ihr durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Gleichartige Gegenansprüche sind insoweit automatisch zu saldieren (BGH VI ZR 26/06, Urteil vom 12.03.2009, juris; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Auflage, § 249 Rdnr. 71). Solange Ersatzanspruch und Vorteil nicht gleichartig sind, muss der Schädiger Schadensersatz nur Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist nur mit dieser Einschränkung begründet. Darauf, ob der Schädiger die Herausgabe des Vorteils verlangt, kommt es nicht an, insbesondere bedarf es anders in den Fällen der §§ 320, 322, 348 BGB, auch keines besonderen Antrags oder einer Einrede des Schädigers (BGH in WM 2015, 1461).
Im Falle der durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs (wie vorliegend gegeben) erlangten Nutzungsvorteile ist die zeitanteilige lineare Wertminderung im Vergleich zwischen tatsächlichem Gebrauch und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO zu ermitteln (BGH in NJW 1995, 2195). Dabei ist Anknüpfungspunkt der gezahlte Bruttokaufpreis, der den Nutzungswert des Fahrzeugs widerspiegelt. Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtlaufleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar.
Zu vergüten sind die Gebrauchsvorteile bei Rückgabe des Fahrzeugs (Reinking/Eggert, der Autokauf, 13. Auflage, Rdnr. 1186). Entgegen der mit der Berufungsbegründung (Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 09.10.2020) vertretenen Auffassung des Klägers hat eine Anrechnung der Nutzungsentschädigung hingegen nicht lediglich bis zu dem Zeitpunkt stattzufinden, zu dem der Kläger die Beklagte zur Rückabwicklung des streitgegenständlichen Kaufvertrages aufgefordert hat. Der Bundesgerichtshof hat unter anderem in seinen Entscheidungen vom 25.05.2020 (BGH VI ZR 252/19, Urteil vom 25.05.2020, juris) und vom 30.07.2020 (BGH VI ZR 354/19, Urteil vom 30.07.2020, juris) klargestellt, dass in Fällen wie dem Vorliegenden auf den Schluss der mündlichen Verhandlung und nicht auf den Zeitpunkt der Geltendmachung der Rückabwicklung durch den jeweiligen Kläger abzustellen ist.
Der Senat legt der konkreten Berechnung des im Rahmen des Vorteilsausgleichs abzuziehenden Nutzungsersatzes für den Gebrauch von Fahrzeugen wie demjenigen des Klägers (Mercedes-Benz CLA 220 CDI) eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde (so bereits OLG Koblenz 12 U 555/19, Urteil vom 09.12.2019, juris). Dem Senat ist dabei bekannt, dass es bei Dieselfahrzeugen und hierbei gerade auch bei Fahrzeugen der Beklagten in Einzelfällen zu durchaus höheren Laufleistungen kommen mag. Exemplarisch genannt sei das durch die Presse (siehe unter anderem https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/mercedes-benz-museum-das-sagenhafte-taxi-des-gregorios-sachinidis-1178156.html) bekannt gewordene Taxi des Gregorios Sachinidis (4,6 Millionen Kilometer). Genauso sind aber Fälle bekannt, bei denen Dieselfahrzeuge der Klägerin, bei weitaus geringeren Laufleistungen als die hier angenommenen 250.000 Kilometer ihre Nutzbarkeit einbüßten, so etwa auch wegen eines (irreparablen) Motorschadens. Die hier interessierende Gesamtlaufleistung ist demgemäß folgerichtig nach dem statistischen Mittelwer...