Leitsatz (amtlich)
Eine inkongruente Deckung i.S.v. § 131 InsO ist auch gegeben, wenn der Schuldner zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (hier: der Finanzbehörde) auf eine fällige Forderung „freiwillig” zahlt (im Anschluss an BGH in BGHZ 136, 309/312 gegen BAG NZA 1998, 446/447).
Normenkette
InsO §§ 130-131
Verfahrensgang
LG München I (Aktenzeichen 9 O 12400/01) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des LG München I 9. Zivilkammer vom 31.10.2001 aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 46.136,93 Euro nebst 5 % Zinsen hieraus p.a. über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatzüberleitungs-Gesetzes vom 9.6.1998 (BGBl. I S. 1242) seit 31.7.2001 zu bezahlen.
III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 60.000 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I. Der Kläger macht als Insolvenzverwalter einen Zahlungsanspruch wegen einer Insolvenzanfechtung geltend.
1. Mit Beschluss des AG – Insolvenzgerichts – München vom 13.2.2001 wurde über das Vermögen von Frau K.G., die bis zum 18.9.2000 als Inhaberin das Café H. in München betrieb, das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die IKK Innungskrankenkasse Bayern hatte mit Schriftsatz vom 19.1.2000, bei Gericht eingegangen am 21.1.2000, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wegen rückständiger Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt mehr als 40.000 DM beantragt. Das Finanzamt München hatte am 4.10.2000 Steuerforderungen i.H.v. 103.778,09 DM. Die Schuldnerin hatte im Zeitraum vom 14.1.2000 bis zum 3.8.2000 darüber hinaus insgesamt 11 Mal Zahlungen an das Finanzamt München mittels Übergabe von Schecks an einen Vollziehungsbeamten des Finanzamts München geleistet; die Summe der Zahlungen belief sich auf 90.236,42 DM. Zuvor hatte die Steuerschuldnerin jeweils Rückstandsanzeigen bezüglich ihrer Steuerschulden erhalten. Der Vollziehungsbeamte hatte diese Rückstandsanzeigen bei sich, als er die Steuerschuldnerin aufsuchte und zur Zahlung aufforderte. Von der Einleitung eines Insolvenzverfahrens erfuhr das Zentralfinanzamt München durch Telefax des Klägers vom 12.9.2000; davor lagen beim Zentralfinanzamt München und bei dem Vollziehungsbeamten keine Kenntnisse über eine etwaige Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin vor.
Der Kläger hat im ersten Rechtszug geltend gemacht, es liege ein Fall der inkongruenten Deckung vor, weshalb der Anspruch auf Rückgewähr infolge erfolgter Anfechtung bestehe. Der Beklagte könne die Befriedigung in dieser Art durch den Einsatz staatlicher Zwangsmittel nicht beanspruchen; es verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger, wenn sich der Gläubiger während der kritischen Zeit der Einzelzwangsvollstreckung bediene. Dies gelte auch im vorliegenden Fall, wenn ein Beamter des Finanzamts nach Androhung der Vollstreckung jeweils bei der Schuldnerin zur Eintreibung der Steuerschulden erscheine und die Schecks unter Berechnung von Vollstreckungskosten abhole. Die von der Schuldnerin an die Vollziehungsbeamten vorgenommene Scheckhingabe müsse der Einschaltung staatlicher Zwangsmittel gleichgesetzt werden, weil sie zur Abwendung einer drohenden Zwangsvollstreckung erfolgt sei.
Der Beklagte hat sich darauf berufen, die Schuldnerin habe freiwillig gezahlt. Ein Fall der inkongruenten Deckung liege nicht vor, weil die Frage der Kongruenz oder Inkongruenz der Deckung ausschließlich auf objektive Kriterien abstelle. Der Beklagte als Gläubiger habe nur das erhalten, was ihm angesichts der Fälligkeit der Steuerforderungen auch zustehe.
Das LG hat mit Endurteil vom 31.10.2001 (Bl. 23/31 d.A.) die Klage abgewiesen.
Es hat ausgeführt, es bestehe kein Anspruch aus § 143 Abs. 1 InsO auf Rückgewähr zur Insolvenzmasse, da keine anfechtbare Handlung vorliege. Die Voraussetzungen von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO seien nicht erfüllt. Der Zweck dieser Vorschrift bestehe darin, den insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zeitlich vorzuverlegen. Hier liege keine inkongruente Deckung vor, nämlich keine Durchsetzung von Ansprüchen mit Hilfe staatlicher Zwangsmittel. Die Schuldnerin habe freiwillig mittels Scheck jeweils auf fällige und durchsetzbare Steuerforderungen des Beklagten gezahlt. Der Umstand, dass der Beklagte selbst Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen könne, führe nicht zu einer inkongruenten Deckung. Die gegenteilige Auffassung führte zu einer Benachteiligung des Staates als Gläubiger. Das bloße Erscheinen des Beamten bei der Schuldnerin sei kein Einsatz staatlicher Zwangsmittel zur Durchsetzung der Steuerforderung. Die Beamten hätten erst einen Durchsuchungsbeschluss erwirken müssen. Eine Anfechtung aufgrund § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sei unbegründet. Denn der Beklagte habe im Zeitpunkt der Zahlungen keine Kenntnis von dem Insolvenz...