Leitsatz (amtlich)
Es entspricht st. Rspr. des OLG, dass ein Verfahrensverstoß eines Richters die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, wenn Umstände dafür sprechen, das der Verfahrensverstoß auf Willkür beruht. Letzteres ist der Fall, wenn sich der Verfahrensverstoß so weit von der gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrensweise entfernt, dass sich für einen dadurch betroffenen Verfahrensbeteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt.
Verfahrensgang
AG Oschersleben (Aktenzeichen 4 F 197/02) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des AG-FamG – Oschersleben vom 19.12.2002 abgeändert und die Ablehnung des Richters K. für begründet erklärt.
Der Beschwerdewert beträgt 2.000 Euro.
Gründe
Die zulässige sofortige Beschwerde (§ 46 Abs. 2 ZPO) ist begründet.
Es entspricht st. Rspr. des OLG, dass ein Verfahrensverstoß eines Richters die Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO) rechtfertigt, wenn Umstände dafür sprechen, dass der Verfahrensverstoß auf Willkür beruht (OLG Naumburg, Beschl. v. 1.3.99 – 10 W 1/99, OLGReport Düsseldorf 1999, 296). Letzteres ist der Fall, wenn sich der Verfahrensverstoß so weit von der gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrensweise entfernt, dass sich für einen dadurch betroffenen Verfahrensbeteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt (Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 42 Rz. 24 m.w.N.).
Nach Aktenlage wurde der abgelehnte Richter in der Sache am 26.9.2002 zuständig (Bl. 33 R d.A.). Zu diesem Zeitpunkt war das gegen die Kindesmutter – mit Schriftsatz des Jugendamts des Bördekreises vom 8.1.2002 eingeleitete – Hauptsacheverfahren auf Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der Gesundheitsfürsorge und des Rechts zur Beantragung sozialer Leistungen (§ 1666 Abs. 1 BGB; Bl. 1 ff. d.A.) noch anhängig. Die Vereinbarung, die in diesem Verfahren während der mündlichen Verhandlung vom 28.8.2002 geschlossen worden war (Bl. 30 f. d.A.), hatte nämlich keine verfahrensbeendende Wirkung. Dies folgt daraus, dass sich die besagte Vereinbarung nicht auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Gesundheitsfürsorge und auf das Recht zur Beantragung sozialer Leistungen, sondern ausschließlich auf das Umgangsrecht der Kindesmutter bezieht; i.Ü. wurde die Vereinbarung nicht durch Gerichtsbeschluss bestätigt (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler/Zimmermann, FGG, 14. Aufl., §§ 8 ff. Vorb. 23, § 33 Rz. 10). Obgleich der abgelehnte Richter die fehlende gerichtliche Bestätigung der Vereinbarung und die Folgen erkannte – wie aus seinem Beschluss vom 24.10.2002 hervorgeht (Bl. 39 d.A.) –, betrieb er das Hauptsacheverfahren nicht weiter, sondern setzte in diesem Verfahren mit Beschluss vom 30.9.2002 lediglich den Geschäftswert fest (Bl. 35 d.A.). Ohne ersichtlichen Grund setzte er die Kindesmutter also einer Ungewissheit über den Ausgang des Hauptsacheverfahrens aus.
An der Untätigkeit im Hauptsacheverfahren änderte sich auch nichts, als der Bördekreis gegen die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 7.11.2002 – parallel zum anhängigen Hauptsacheverfahren, wie gesetzlich vorgeschrieben – noch ein einstweiliges Anordnungsverfahren anstrengte (§§ 620 Nr. 1, 620a Abs. 2, 621g ZPO; Bl. 1 ff. Sonderheft). Der abgelehnte Richter erließ – mit Beschluss vom 7.11.2002 – nur die begehrte einstweilige Anordnung gegen die Kindesmutter (§§ 620a Abs. 1, 621g ZPO) und beraumte – auf die „Beschwerde” der Kindesmutter gegen diese Anordnung (§ 620b Abs. 2 ZPO) – lediglich eine mündliche Verhandlung (auf den 2.12.2002) in dem einstweiligen Anordnungsverfahren an (Bl. 54 Sonderheft).
Angesichts der unvertretbar langen Untätigkeit des abgelehnten Richters im Hauptsacheverfahren – für die der abgelehnte Richter auch in seiner dienstlichen Stellungnahme keine Gründe nennt – und der dadurch ausgelösten Ungewissheit über den Ausgang dieses Verfahrens drängt sich aus der Sicht der betroffenen Kindesmutter der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung auf (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 42 Rz. 52, Stichwort: Untätigkeit). Der Beschluss vom 19.12.2002, mit dem die Ablehnung des Richters für unbegründet erklärt wurde, hat daher keinen Bestand. Diese Entscheidung trifft der Senat in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung, nachdem ihm der originäre Einzelrichter das Verfahren übertragen hat (§ 568 ZPO n.F.).
Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 12 Abs. 2 S. 3 GKG, da der Wert des Ablehnungsverfahrens demjenigen der Hauptsache entspricht (vgl. OLG Naumburg v. 16.10.1996 – 1 AR 73/96, OLGReport Naumburg 1997, 190 = OLG-NL 1997, 262 [263]).
gez. Dr. Friederici gez. Wiedenlübbert gez. Bisping
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Fundstellen
Haufe-Index 1108965 |
EzFamR aktuell 2003, 155 |
www.judicialis.de 2003 |