Leitsatz (amtlich)
Abgasverfahren: "Audi-Spätkauf" und großer Schadensersatz bzw. Differenzschaden.
Verfahrensgang
LG Stendal (Urteil vom 15.09.2022; Aktenzeichen 23 O 410/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 15. September 2022 verkündete Einzelrichterurteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Stendal wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz mit der Begründung geltend, der am 16. Dezember 2019 zum Preis von 37.950,00 EUR mit einer Laufleistung von 23.012 km gekaufte Pkw Audi A 8 3.0 TDI mit einem V 6-Motor (193 kW) der Schadstoffklasse Euro 6, Erstzulassung 12. Juli 2017, weise unzulässige Abschalteinrichtungen auf und sei deshalb von dem sogenannten "Abgasskandal" betroffen.
Wegen der Einzelheiten des in erster Instanz unstreitigen und streitigen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Ergänzend und klarstellend wird ausgeführt:
Das Fahrzeug wies zuletzt am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 4. September 2023 einen Stand des Tachometers von 50.301 km auf.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch nach § 826 BGB habe, da kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten hinsichtlich Thermofenster, Aufheizstrategie, Getriebemanipulation und anderer Regelungen mit Auswirkungen auf die Emissionsstrategie festzustellen sei. Der Kläger habe keinen hinreichenden Vortrag gehalten, dass die Abgasgrenzwerte mittels unzulässiger Abschalteinrichtungen nur auf dem Prüfstand eingehalten würden. Einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der VO 715/2007/EG stehe entgegen, dass diese Vorschriften keine Schutzgesetze seien. Für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 BGB fehle es an der erforderlichen Stoffgleichheit. Der Kläger habe gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Schadensersatz aus Sachmängelhaftung. Denn er habe das Fahrzeug erworben, nachdem bereits die Motorsteuerungssoftware aufgespielt gewesen sei, mit der die vom Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden KBA) per Rückruf beanstandete unzulässige Abschalteinrichtung beseitigt gewesen sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, zu deren Begründung er u.a. ausführt, dass es das Landgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gehörsverletzend unterlassen habe, ein Sachverständigengutachten zur Frage einer prüfstandoptimierten Umschaltlogik in dem gegenständlichen Fahrzeug einzuholen. Die Vorschriften der Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 seien Schutzgesetze. Gegen diese sei durch unzulässige Abschalteinrichtungen ("Thermofenster") verstoßen worden, so dass die Beklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB wegen Fahrlässigkeit hafte, und zwar auf einen Differenzhypothesenvertrauensschadensersatz. Die Beklagte treffe auch eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast zu einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, insbesondere zu den subjektiven Voraussetzungen des Schadensersatzes. Das Landgericht stelle überspannte Substantiierungsanforderungen an die Klägerseite, obwohl das Fahrzeug von einem Rückruf des KBA betroffen sei. Auch verkenne das Landgericht, dass er substantiiert zu einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt der schnellen Motorwärmfunktion vorgetragen habe, deren Einbau sich als sittenwidrig darstelle. Die Sittenwidrigkeit sei auch nicht durch öffentliche Äußerungen der Beklagten entfallen.
Der Kläger beantragt zuletzt,
das Urteil des Landgerichts Stendal - 23 O 410/20 zu ändern und wie folgt neu zu fassen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 34.782,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juni 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Audi A8 3.0 TDI (...) zu zahlen;
Hilfsweise beantragt der Kläger zum Berufungsantrag Ziffer 1):
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 5.025,21 EUR (15% des gezahlten Kaufpreises) abzüglich Nutzungsvorteile, welche in das Ermessen des Gerichts gestellt werden, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Für den Fall, dass der Berufungsantrag Ziffer 1) dem Grunde nach Erfolg hat, beantragt der Kläger,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden (wie etwa Folgeschäden, die durch ein mögliches Update hervorgerufen werden) z...