Leitsatz (amtlich)
1) Zur Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 1 UWG und ihrer Widerlegung; Selbstwiderlegung durch längeres Zuwarten bis zur Stellung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (hier vor dem Hintergrund der Umstände des Einzelfalls bei einer Zeitspanne von knapp zwei Monaten bejaht).
2) Zur Figur des so genannten Wissensvertreters analog § 166 Abs. 1 BGB (hier bejaht für den u.a. auf der Homepage der Verfügungsklägerin als "Gründer" und "CEO" bezeichneten Entwickler der von der Verfügungsklägerin vertriebenen Software).
Normenkette
BGB § 166 Abs. 1; UWG § 12 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 21.05.2021; Aktenzeichen 3 O 306/21) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 21.05.2021 - Az.: 3 O 306/21 - gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
Die zulässige Berufung wird sachlich ohne Erfolg bleiben.
1. Jedenfalls im Ergebnis - und das reicht für die beabsichtigte Beschlusszurückweisung aus (vgl. Senat, Beschluss vom 17.11.2020 - 2 U 16/19, WRP 2021, 239 = NJ 2021, 74 [Juris; Tz. 1], m.w.N.; Senat, Beschluss vom 02.08.2021 - 2 U 17/20 [Juris; Tz. 69]) - erweist sich die Entscheidung des Landgerichts, den einstweiligen Verfügungsantrag (§ 935 ZPO) mangels Verfügungsgrundes (§§ 920 Abs. 2, 936 ZPO) zurückzuweisen, als richtig. Für die Entscheidung ist nämlich zu Grunde zu legen, dass die Verfügungsklägerin spätestens in der ersten Januarwoche 2021 - wenn nicht bereits Mitte Dezember 2020 - Kenntnis von dem verfahrensgegenständlichen (vermeintlichen) Wettbewerbsverstoß hatte. Der verfahrenseinleitende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist erst am 01.03.2021 gestellt worden, also annähernd zwei Monate später. Bei diesem zeitlichen Abstand ist jedenfalls unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles für die Annahme eines Verfügungsgrundes, also einer besonderen Eile, aus den noch näher auszuführenden Gründen kein Raum.
2. Der Senat muss nicht abschließend darüber befinden, ob die landgerichtliche Entscheidung bereits unter Beweislastgesichtspunkten zu bestätigen ist.
a) Im Ausgangspunkt streitet zu Gunsten der Verfügungsklägerin aus § 12 Abs. 2 UWG a. F. bzw. nunmehr § 12 Abs. 1 UWG eine widerlegliche tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit, weshalb ein Verfügungsgrund im Prinzip - abweichend von allgemeinen Grundsätzen - nicht positiv darzutun ist. Da aber der Verfügungsbeklagte regelmäßig - und so auch hier - von dem Zeitpunkt, in dem der Verfügungskläger vom Wettbewerbsverstoß Kenntnis erlangt hat (oder ohne grobes Verschulden hätte erlangen müssen; vgl. Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 12 Rn. 2.15a, m.w.N.), keine nähere Kenntnis hat, dieser Zeitpunkt aber, wenn er lange genug zurückliegt, die Dringlichkeitsvermutung widerlegen kann, genügt es, wenn der Verfügungsbeklagte Tatsachen vorträgt, die den Schluss auf eine Kenntniserlangung zu einem bestimmten - dringlichkeitsschädlichen - Zeitpunkt zulassen. Ist solcher Vortrag erfolgt, so obliegt es sodann dem Verfügungskläger, einen späteren - unter Dringlichkeitsgesichtspunkten unschädlichen - Zeitpunkt der Kenntniserlangung erstens vorzutragen und zweitens glaubhaft zu machen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.02.2014 - I-6 U 84/13, GRUR-RR 2014, 273 [Juris; Tz. 77]; OLG Stuttgart, Urteil vom 27.11.2008 - 2 U 60/08, GRUR-RR 2009, 343 [Juris; Tz. 80]; Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 12 Rn. 2.13 e.E., 2.15 a.E.).
b) Ausgehend von diesen Maßstäben spricht zumindest Einiges dafür, dass die durch den Verfügungsbeklagten vorgetragenen - jedenfalls in Teilen zudem unstreitigen - Umstände den Schluss, der nicht zwingend sein muss, erlauben, die gesetzlichen Vertreter - Directors - der Verfügungsklägerin, einer Limited nach englischem Recht, hätten bereits deutlich vor dem 09.02.2021, letztlich wohl bereits seit Anfang Januar 2021, von dem streitbegriffenen Wettbewerbsverstoß gewusst. Vorgetragen nämlich hat der Verfügungsbeklagte u.a., das (!) "Gesicht" von ... sei Herr X, der Entwickler der von der Verfügungsklägerin vertriebenen und zugleich die Firmenbezeichnung der Verfügungsklägerin darstellenden Software, zugleich der Sohn des Directors ..., und zumindest dessen - X's - Kenntnis lag unstreitig bereits in den ersten Januartagen 2021 vor. Jedenfalls in Verbindung mit den flankierenden Behauptungen des Verfügungsbeklagten, der weitere Director der Verfügungsklägerin - ... - stelle seine Rechtsanwaltskanzleianschrift...