Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachbarliches Einschreitensbegehren hinsichtlich eines genehmigten Gewerbebetriebs
Leitsatz (amtlich)
1. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Oberverwaltungsgerichts in Zulassungsverfahren, mit eigenem Überlegungs- und Auslegungsaufwand zu ermitteln oder auch nur zu “vermuten”, welchem Zulassungstatbestand im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO sich ein in der Form einer Berufungsbegründung gehaltener Sachvortrag zuordnen lassen könnte.
2. Der in der Unterschrift des Nachbarn in den Bauvorlagen zu erblickende Verzicht auf materielle nachbarliche Abwehrrechte bindet bei mehreren Miteigentümern des Nachbargrundstücks ungeachtet im Einzelfall bestehender familiärer Beziehungen, insbesondere auch bei Ehegatten, nur den jeweils Verzichtenden.
3. Sowohl materielle nachbarliche Verzichtserklärungen als auch die Verwirkung von Nachbarrechten sind selbst bei Gefahren für Leib und Leben des Verzichtenden wirksam, weil sie in erster Linie die Nutzbarkeit des eigenen Grundstücks betreffen.
4. Über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehende “Auflagen” zur Baugenehmigung, die auf entsprechende Forderungen des Nachbarn im Zusammenhang mit seiner Nachbarzustimmung zur Ausräumung von Genehmigungshindernissen zurück gehen, begründen einen Anspruch des Nachbarn gegen die als Adressat der Verzichtserklärung anzusehende Bauaufsichtsbehörde, nur eine genehmigungskonforme Ausführung hinzunehmen.
5. Ist aber der ein entsprechendes Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde verlangende Nachbar im Besitz eines inhaltlich die zur Ausräumung seiner geltend gemachten Rechtsbeeinträchtigung von ihm für geboten erachteten Anordnung abdeckenden vollstreckbaren zivilgerichtlichen Titels und kann er sich daher selbst “zu seinem Recht verhelfen”, so kommt kein Anspruch auf (zusätzliches) Tätigwerden der Bauaufsicht in Betracht. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf die aus Sicht des Nachbarn einfachere und vor allem “kostengünstigere” Vollstreckung einer behördlichen Anordnung im Vergleich zur Durchsetzung des Zivilurteils, bei der der private Vollstreckungsgläubiger zumindest in Vorlage treten muss.
6. Die öffentlich-rechtliche Wirkung der nachbarlichen Verzichtserklärung gegenüber der Genehmigungsbehörde erfasst ein genehmigungsabweichend ausgeführtes Vorhaben insgesamt nicht, so dass dem Nachbarn mit Blick auf eine Nichteinhaltung seinem Schutz dienender Vorschriften ein Anspruch der Beseitigung des Gebäudes – vorbehaltlich einer nachträglichen Herstellung des genehmigten Zustands durch den Bauherrn – zuzubilligen ist.
7. Wie materielle Abwehrrechte sind auch Ansprüche auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten aufgrund einer Nichteinhaltung von “Bedingungen” für die Nachbarzustimmung im Rahmen der Bauausführung vom Verzichtenden zeitnah geltend zu machen und unterliegen ansonsten einer Verwirkung.
8. Das Verwaltungsgericht verletzt nach ständiger Rechtsprechung seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht, wenn ein in der mündlichen Verhandlung rechtskundig vertretener Beteiligter dort – wie hier die Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 22.4.2009 – keine konkreten Beweisanträge zu dem jeweiligen Tatsachenvorbringen gestellt hat. Die Aufklärungsrüge im Berufungszulassungsverfahren dient nicht dazu, solche Beweisanträge zu ersetzen. Gleiches gilt für Ankündigungen von Beweisanträgen oder Beweisersuchen in die mündliche Verhandlung vorbereitenden Schriftsätzen.
9. Im Rahmen eines baurechtlichen Nachbarstreits, insbesondere hinsichtlich der Beurteilung von Lärm- und Geruchsimmissionen, kommt es nicht auf besondere Befindlichkeiten und die gesundheitliche Situation des individuellen (konkreten) Nachbarn an.
Normenkette
BGB § 1004 Abs. 2, § 906 Abs. 1; VwGO § 86 Abs. 1, § 124 Abs. 1, 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2; LBO 1974/80 §§ 7, 82, 104 Abs. 1 S. 1, § 105; LBO 2004 §§ 30, 32, 57 Abs. 2-3; BImSchG § 22; BauNVO 1990 § 6
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Urteil vom 22.04.2009; Aktenzeichen 5 K 700/07) |
Tenor
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 22. April 2009 – 5 K 700/07 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 2) tragen die Kläger.
Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 15.000,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Kläger sind Eigentümer des Wohnanwesens E…-Straße in A…-Stadt (Parzelle Nr. 766/8 in der Gemarkung R…). Eine linksseitig an das Wohnhaus angebaute Garage reicht bis auf die Grenze zum Nachbargrundstück (Parzellen Nr. 766/6 und Nr. 765/7). Dieses gehört zu dem über den Ostring angefahrenen Betriebsgrundstück der Beigeladenen zu 1), das auch rückseitig an das Grundstück der Kläger grenzt. Dort (Parzelle Nr. 766/10) befindet sich eine Werkshalle, in der Zuschnitt- und Montagearbeiten im Rahmen des Holzbaubetriebs (Dachbinderwerk) der Beigeladenen zu 1) ausgeführt werden.
Im Juni 1980 erteilte die Beklagte (vgl. den Bauschein...