Rn 6
§ 19 I 2 sieht als eine Sollvorschrift ausdrücklich vor, dass sich der Schlichtungsvorschlag am geltenden Recht ausrichtet und insbesondere die zwingenden Verbraucherschutzgesetze beachtet. Andererseits verlangen die §§ 16 I Nr 3, 19 III 1, dass die Verbraucherschlichtungsstelle die Parteien darüber unterrichtet, dass der Schlichtungsvorschlag von dem Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens abweichen kann. Die Gesetzesbegründung betont, dass der Schlichter damit nicht in derselben Weise rechtlich gebunden ist wie ein Gericht, das eine für beide Parteien verbindliche Entscheidung trifft. Denn der Streitmittler macht lediglich einen Vorschlag, über dessen Annahme die Parteien grundsätzlich frei entscheiden (BTDrs 18/5089, S 63). Klargestellt ist durch das Gesetz zunächst, dass es sich bei der Schlichtung um ein dem Recht verpflichtetes und damit rechtsorientiertes Verfahren handelt. Bereits die dem Gesetz zugrundeliegende Richtlinie hatte in Erwägungsgrund 31 sowie in Art 7 Abs 1i betont, dass die Rechtslage gebührend zu berücksichtigen sei, jedoch keine strikte Rechtsbindung bestehe; dazu Lohr Verbraucherstreitbeilegung und Verbraucherschutz, 2021.
Rn 7
Die problematische Frage nach dem Umfang der Bindung des Streitmittlers an das geltende Recht ist vor dem Hintergrund zu bewerten, dass der Streitmittler nach § 6 II über Rechtskenntnisse, insbesondere im Verbraucherrecht, verfügen muss, dass er die Befähigung zum Richteramt besitzen oder ein zertifizierter Mediator sein muss und dass er insbesondere zwingende Verbraucherschutzgesetze beachten soll (§ 19 I 2). Verstärkt wird die Bindung an das Recht ferner dadurch, dass beim Schlichtungsvorschlag eine Begründung zwingend ist, die auch die rechtliche Bewertung des Streitmittlers enthält. Bedeutung gewinnt ferner die Tatsache, dass die Parteien im Schlichtungsverfahren gemäß § 13 I jederzeit anwaltlich vertreten sein können. Diese Aspekte ergeben ein Gesamtbild und machen deutlich, dass die Rechtsbindung des Streitmittlers ganz im Vordergrund steht. Seine etwas freiere Stellung gegenüber dem Richter besteht darin, dass der Streitmittler nicht Rechtsprechung und Literatur in einem umfassenden Sinn auswerten muss, sondern sich mit einer vertretbaren rechtlichen Grundlage begnügen kann. Soweit seine rechtliche Bewertung zu einer Gesetzeslücke gelangt, ist es nicht seine Aufgabe, rechtsfortbildend tätig zu werden. Unterstützt wird diese etwas freiere Stellung des Streitmittlers dadurch, dass die jeweilige Verfahrensordnung gemäß § 14 II Nr 4 vorsehen kann, dass der Streitmittler die Durchführung eines Verfahrens ablehnen darf, wenn sich rechtliche Fragen nur mit einem unangemessenen Aufwand klären lassen oder wenn eine grundsätzliche Rechtsfrage auftaucht, die für die Bewertung der Streitigkeit erheblich ist und die bisher nicht geklärt ist.
Rn 8
Angesichts der damit grundsätzlich zu bejahenden Rechtsbindung des Streitmittlers ist der Hinweis der Verbraucherschlichtungsstelle an die Parteien, dass der Vorschlag von dem Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens abweichen kann (§§ 16 I Nr 3, 19 III 1), nur sehr einschränkend in der Weise zu verstehen, dass den Parteien damit verdeutlicht wird, dass das Gericht nicht an die rechtliche Auffassung des Streitmittlers gebunden ist, sondern eine abweichende Rechtsauffassung vertreten kann. Die Unterrichtung der Parteien durch die Schlichtungsstelle enthält damit eine blanke Selbstverständlichkeit.
Rn 9
Die Rechtsbindung des Streitmittlers bezieht sich allerdings nur auf das jeweilige materielle Recht. Das Verfahrensrecht wird individuell durch die jeweilige Verfahrensordnung vorgegeben. Die Anwendung der ZPO auf das Verfahren kommt nicht in Betracht. Innerhalb des materiellen Rechts unterscheidet der Gesetzestext zwischen zwingenden Verbraucherschutzgesetzen und anderen Rechtsnormen. Dieser Differenzierung sowie der gesetzlichen Unterscheidung zwischen einer Ausrichtung am geltenden Recht und einer Beachtung von Verbraucherschutzgesetzen kommt keine praktische Bedeutung zu (Kramme, in: Schmidt-Kessel, Alternative Streitschlichtung, 2015, S 149; Borowski/Röthemeyer/Steike, VSBG, 2. Aufl 21, § 19 Rz 31). Vor dem Hintergrund von § 14 II Nr 4 ist der Streitmittler auch nicht verpflichtet, internationales Privatrecht und ausländisches Recht anzuwenden. Er darf sich mit der Anwendung des deutschen Rechts begnügen.
Rn 10
Nur geringe Bedeutung kommt der Tatsache zu, dass die Rechtsbindung im Gesetz jeweils als Sollvorschrift ausgestaltet ist. Im Allgemeinen wird den Sollvorschriften entnommen, dass sie den Normadressaten zur Befolgung der Regelung zwingen, ohne die Nichtbefolgung unter eine Sanktion zu stellen. Die Existenz einer Sollvorschrift führt daher nicht zu einer relevanten Aufweichung der Rechtsbindung des Streitmittlers. Insbesondere kann man der Sollvorschrift nicht entnehmen, dass der Streitmittler bei seinem Schlichtungsvorschlag inhaltlich keiner Bindung unterliegt, sondern nur die rechtliche Dimension des Streitfalle...