Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Verletztenrente. anerkannte Berufskrankheit gemäß BKV Anl 1 Nr 3102 nach Zeckenbiss. haftungsausfüllende Kausalität. Nachweis weiterer Gesundheitsstörung. Neuroborreliose. aktive Borrelien-Infektion. anerkannter Stand der medizinischen Wissenschaft. Forstwirt
Leitsatz (amtlich)
Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie Neuroborreliose (AWMF Registriernummer 030/071, gültig bis 29.9.2017) ist weder offensichtlich unrichtig noch widerspricht sie offenkundig dem aktuellen wissenschaftlichen Wissensstand. Die gesicherte Diagnose einer Neuroborreliose erfordert daher den Nachweis der typischen Klinik als auch den Nachweis spezifischer Antikörper gegen Borrelien sowohl im Blut als auch im Nervenwasser.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 6. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die als Berufskrankheit (BK) nach der Nummer 3102 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV; im Folgenden: BK 3102) anerkannte Borrelieninfektion des Klägers mit einer Verletztenrente zu entschädigen ist.
Der im Jahre 1956 geborene Kläger ist ausgebildeter Forstwirt und beim Staatsbetrieb Sachsenforst beschäftigt. Nachdem er in den Jahren 2004, 2007 und 2008 mehrfach von Zecken gestochen worden war, erstattete der Arbeitgeber eine Unfallanzeige, woraufhin die Beklagte ein BK-Feststellungsverfahren einleitete. Beigezogen wurde u.a. der Entlassungsbericht der Medizinischen Klinik - Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin - des Klinikums I… in D…, wonach sich bei einer stationären Behandlung vom 02.06.2008 bis 04.06.2008 kein Anhalt auf ein aktives, entzündliches Geschehen ergeben hatte und die behandelnden Ärzte von einer so genannten “Seronarbe„ ausgingen.
Mit Bescheid vom 16.10.2008 erkannte die Beklagte eine Infektion des Klägers mit Borreliose infolge der beruflichen Tätigkeit als BK 3102 an, lehnte die Gewährung einer Verletztenrente indessen ab, weil keine BK-bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vorläge.
Nachdem der Kläger hiergegen Widerspruch einlegte, zog die Beklagte weiterer medizinische Unterlagen bei und beauftragte PD Dr. B… mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage vom 09.11.2009, in dem der Gutachter einschätzte, dass “aufgrund der Krankheitsumstände, des Krankheitsverlaufes, der typischen Krankheitsmanifestationen und der medizinisch-technischen Befunde … mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine chronische Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose zu diagnostizieren„ sei. Ein Hirn-SPECT habe einen mit Lyme-Borreliose vereinbaren Befund (diffus verminderte Anreicherung des Tracers tempo-occipital links) ergeben. Das Schädel-MRT zeige zahlreiche Läsionen, einen typischen Befund für eine chronische Lyme-Borreliose. Das MRT der Kniegelenke zeige beidseits Kniegelenksergüsse, die für das Spätstadium einer Lyme-Borreliose typisch seien. Hierdurch sei die Erwerbsfähigkeit seit Juni 2007 um 100 v.H. gemindert. Er empfahl antibiotische Behandlung.
Demgegenüber führte der Neurologe Prof. Dr. R… in seinem neurologisch-psychiatrischem Gutachten vom 14.10.2010 aus, dass die vom Kläger genannten unspezifischen Gesundheitsstörungen wie allgemeines Krankheitsgefühl, Kopfschmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen, Brust- und Herzschmerzen, Erschöpfung, Müdigkeit, Gleichgewichtsstörung und Schwindel, Schwitzen und Frieren, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörung, Hautjucken, Kribben in Armen und Beinen, Übelkeit, Taubheitsgefühl, Sprachstörung, Wortfindungsstörung, Lustlosigkeit, geringe Belastbarkeit, Schlafstörung und Halsschmerzen. nichts mit einer Lyme-Borreliose zu tun hätten. Die Neuroborreliosediagnose sei eine klinische Diagnose, gestützt durch Entzündungszeichen im Liquor. Beides sei beim Kläger nicht gegeben. Die neurologische und psychiatrische Untersuchung habe außer deutlichen Zeichen einer Aggravation und Hinweisen auf eine Somatisierung keine relevanten objektiven pathologischen Befunde erbracht. Die jetzt vom Kläger angegebenen Beschwerden seien Folge einer Somatisierungsstörung, die nichts mit einer Borrelioseerkrankung zu tun habe. Die Ausführungen im Gutachten von PD Dr. B… würden einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren. So gäbe es zum Beispiel keine für eine chronische Borreliose typischen MRT-Veränderungen und Hirnperfusionsstörungen kämen bei Dutzenden von Hirnerkrankungen und -störungen vor, ohne einen Hinweis auf eine Borreliose zu geben. Psychiatrische Erkrankungen schienen PD Dr. B… fremd zu sein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2010 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück. Es hätten sich keine Gesundheitsstörungen feststellen lassen, die durch die Borrelieninfektion verursacht seien.
Am 02.10.2010 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben. Das SG hat ein Ärztliches Sachverständigen-Gutac...