Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich einer versäumten Verfahrensfrist - Anforderungen an eine rechtswirksame Einlegung der Berufung per E-Mail
Orientierungssatz
1. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist einem Verfahrensbeteiligten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten.
2. Ergeben sich keine Hinweise auf die gesundheitliche Unfähigkeit, rechtzeitig Berufung einzulegen, so ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist zu versagen.
3. Die Einlegung einer Berufung mit einfacher E-Mail genügt regelmäßig nicht dem Formerfordernis. Insoweit ist eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich. Im Übrigen ist eine an das Verwaltungspostfach eines Gerichts gerichtete E-Mail nicht zur Gerichtsakte zu nehmen und damit nicht geeignet, Fristen zu wahren.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 11. Dezember 2019 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die endgültige Entscheidung über Grundsicherungsleistungen und eine darauf beruhende Erstattungsentscheidung des Beklagten für den Zeitraum vom 1. Mai 2017 bis 31. Oktober 2017.
Die Klägerin zu 1) ist seit 1999 selbständig tätig und betreibt einen Online-Handel mit Kosmetik- und Textilwaren und bezieht zusammen mit ihrer 2004 geborenen Tochter, der Klägerin zu 2), aufstockend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II).
Mit Bescheid vom 13. April 2017 gewährte der Beklagte vorläufig monatliche Leistungen i.H.v. 1.228,80 EUR für die Monate Mai bis einschließlich Oktober 2017. Am 16. Januar 2018 reichte die Klägerin zu 1) die abschließende EKS für den Bewilligungszeitraum samt umfangreicher betriebsbezogener Unterlagen ein. Mit Bescheid vom 8. Juni 2018 setzte der Beklagte Grundsicherungsleistungen für die Monate Mai 2017 bis einschließlich Oktober 2017 in verringerter Höhe endgültig fest. Die Klägerinnen hätten für die besagten Monate einen monatlichen Leistungsanspruch i.H.v. 671,08 EUR. Dabei sei der Gewinn der Klägerin zu 1) aus ihrer Selbständigkeit i.H.v. 6.806,69 EUR bzw. 1.134,45 EUR zu berücksichtigen. Mit Bescheid vom gleichen Tag forderte der Beklagte von den Klägerinnen eine Erstattung i.H.v. insgesamt 3.346,32 EUR.
Die Klägerinnen haben gegen diese Entscheidung am 19. Juni 2018 unmittelbar Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben, die der Beklagte als Widerspruch ausgelegt und den er mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2018 zurückgewiesen hat.
Im Zuge des Klageverfahrens hat das Sozialgericht die Klägerin zu 1) aufgefordert, die Betriebsausgaben des hier streitbefangenen Zeitraums, die ihrer Meinung nach zu Unrecht nicht berücksichtigt worden seien, zu benennen und nachzuweisen. Die Klägerin zu 1) hat umfangreiche Belege bzgl. ihrer betrieblichen Tätigkeit eingereicht, die sich nicht auf den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum bezogen. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17. Dezember 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen, Bl. 95 ff der Gerichtsakte.
Gegen die den Klägerinnen am 12. Februar 2020 zugestellte Entscheidung richtet sich der am 16. März 2020 bei dem Sozialgericht Lübeck eingegangene Schriftsatz vom 11. März 2020, mit dem die Klägerin zu 1) in den Verfahren S 42 AS 578/18 und S 42 AS 1178/17 Berufung beantragen will und eine zeitnahe Begründung ankündigt. Die Berufung hat das Sozialgericht zuständigkeitshalber am 20. März 2020 an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht weitergeleitet.
Mit Schriftsatz vom 4. Mai 2020, eingegangen am 8. Mai 2020, hat die Klägerin zu 1) die Berufung begründet. Mit gerichtlicher Verfügung vom 12. Mai 2020 ist die Klägerin zu 1) darauf hingewiesen worden, dass die Berufung nicht fristgemäß erhoben worden sei und aufgefordert worden, darzulegen, welche Anstrengungen sie unternommen habe, um den am 11. März 2020 gefertigten Schriftsatz aufzugeben. Mit weiterer Verfügung vom 4. Juni 2020 ist die Klägerin zu 1) darauf aufmerksam gemacht worden, dass weder die Bestätigung eines Unfalles noch eine Arbeitsunfähigkeit zur Beurteilung der Wiedereinsetzung ausreichend sei. Ferner wurde sie aufgefordert, die näheren Umstände zum Versand des Berufungsschreibens mitzuteilen.
Mit Schreiben vom 14. Juli 2020 hat der Senat eine Entscheidung nach § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Aussicht gestellt und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerinnen gegen das...