Rz. 125
Ein Erbscheinsverfahren wie in Deutschland ist dem schwedischen Erbrecht an sich fremd und ein solches war bisher im Rahmen einer Nachlassabwicklung auch nicht bekannt. Demgegenüber folgt man einem für alle Nachlassbeteiligten transparenten Nachlassabwicklungsverfahren, bei dem man nach einem Todesfall im Rahmen gesetzlich vorgegebener Fristen das Vermögen des Erblassers in einem Dokument gesondert auszulisten und zu bilanzieren hat (bouppteckning) und sodann (bei Ehegatten: ggf. mit Durchführung einer familienrechtlichen Güterstandsbeendigung und -teilung; bodelning) eine Nachlassverteilung durchzuführen hat (arvskifte). Solange der Nachlass nicht verteilt ist, ist Inhaber des Nachlasses das dödsbo.
Dies änderte sich jedoch – jedenfalls für Nachlässe mit Auslandsanknüpfung – ab dem 17.8.2015 durch die Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses gem. Art. 62 ff. EuErbVO. Ein solches Nachlasszeugnis war für die schwedische Nachlassabwicklung bislang nicht erforderlich und wird auch weiterhin für Nachlässe ohne Auslandsanknüpfung nicht erforderlich sein.
Bei derartigen "Neufällen" wird man nunmehr, soweit es Erblasser betrifft, die bei ihrem Tode ihren gewöhnlichen Aufenthalt (hemvist) in einem anderen EU-Mitgliedstaat hatten, für den die EuErbVO gilt, vielfach in Schweden (z.B. betreffend zu tätigende Grundstücksumschreibungen: bei der schwedischen Landregisterbehörde Lantmäteriet), ein von der zuständigen Behörde/dem zuständigen Gericht des anderen Staates ausgestelltes Europäisches Nachlasszeugnis vorzulegen haben. Bei deutsch-schwedischen Rechtsverhältnissen lässt die schwedische Landregisterbehörde (Lantmäteriet) für Grundstücksumschreibungen, welche aufgrund eines notariell errichteten Testaments des Erblassers veranlasst sind, jedoch vielfach zum Nachweis der Erbenstellung bereits die Vorlage des in Deutschland "notariell errichteten Testaments" und das Testamentseröffnungsprotokoll des in Deutschland hierfür zuständigen Nachlassgereichts genügen. Banken in Schweden bestehen jedoch oftmals auf die Vorlage eines Europäischen Nachlasszeugnisses.
Früher, d.h. bei den "Altfällen" ging der Nachlass bei Erbfällen mit Auslandsanknüpfung regelmäßig in die Verwaltung eines gerichtlich einzusetzenden Nachlassverwalters (boutredningsman) über. Ein boutredningsman besitzt Verfügungsmacht und hat zunächst ein Nachlassverzeichnis (bouppteckning) zu erstellen und die Gläubiger, soweit entsprechende Masse vorhanden war, zu befriedigen und sodann auf eine Nachlassteilung hinzuwirken. Der Nachlassverwalter (siehe Rdn 137 f.) kann regelmäßig über den Nachlass mit bindender Wirkung verfügen. Für bestimmte Rechtsgeschäfte (z.B. Verkauf einer Immobilie) braucht er die ausdrückliche Zustimmung aller Nachlassbeteiligten (dödsbodelägare); wenn diese nicht von diesen erhalten werden kann, eine von ihm dann einzuholende gerichtliche Zustimmung.
Rz. 126
Die Beantragung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, wie es nunmehr die EuErbVO vorsieht und welches vor allem benötigt wird, wenn man in einem anderen EU-Mitgliedstaat nachweisen muss, wer den Nachlass vertritt und wer Erbe des Verstorbenen geworden ist (z.B. weil Nachlassvermögen in einem anderen EU-Mitgliedstaat vorhanden ist), erfolgt in Schweden beim Finanzamt (Skatteverket), welches in Schweden nicht nur Fiskalbehörde ist, sondern ebenfalls Melde- und Personenstandsbehörde und in gewissem Umfang auch Nachlassbehörde.
Rz. 127
Vorliegend ist – vor allem im deutsch-schwedischen Zusammenhang, und zwar in der Konstellation, dass ein Erblasser mit Wohnansässigkeit in Deutschland in Deutschland verstirbt (und demzufolge deutsches Erbrecht auf den Nachlass anzuwenden ist) und dieser Vermögen in Schweden (z.B. ein Sommerhaus) hatte – bei der Beantragung eines Europäischen Nachlasszeugnisses in Deutschland der relativ neuen EuGH-Entscheidung vom 1.3.2018 in der Rechtssache C 558–16 ("Mahnkopf") Rechnung zu tragen.