Entscheidungsstichwort (Thema)
Opferentschädigung: Opferentschädigungsanspruch bei Conterganschädigung
Orientierungssatz
Ein durch das Medikament Contergan durch eine Mehrfachbehinderung Geschädigter hat keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz, da es am Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs fehlt (LSG Essen Beschluss vom 22.02.2010, L 10 (6) B 8/09 VG).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger ist der Auffassung, dass seine Conterganschädigung den Tatbestand des § 1 Absatz 1 bzw. Absatz 2 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) erfüllt und begehrt eine entsprechende Feststellung.
Nach Angaben des Klägers wohnten seine Eltern zunächst in xxx und sind noch vor seiner Geburt am xxx nach xxx verzogen. Während der Schwangerschaft nahm seine Mutter etwa im xxx das Präparat "Contergan" der Firma Chemie Grünenthal GmbH ein. Seit Geburt leidet er unter einer Mehrfachbehinderung. Er erhält eine monatliche Opferrente durch die Conterganstiftung und ist als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt.
Am 26.05.xx stellte der Kläger einen Antrag auf Entschädigung nach dem OEG. Mit Bescheid vom 08.06.xx lehnte der Beklagte ein solchen Anspruch ab, da es sich bei dem schädigenden Ereignis nicht um eine Gewalttat im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 OEG gehandelt habe.
Der Kläger erhob Widerspruch und trug vor, der angelegte Vorsatzbegriff sei zu eng und berücksichtige nicht die Form des dolus eventualis. Spätestens seit Sommer xx seien von der Chemie Grünenthal GmbH die Schäden an ungeborenen Leben billigend in Kauf genommen worden, was mehrfach dokumentiert sei. Die Bundesrepublik habe den Tatbestand der vorsätzlichen Schädigung durch Unterlassen ebenfalls erfüllt, da sie ihren Schutzpflichten gegenüber dem Volk durch fehlende Überwachung nicht nachgekommen sei. Ferner sei gemäß § 2 Absatz 2 Nr. 2 OEG die fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen einem vorsätzlichen Angriff nach § 1 Absatz 1 OEG gleichzusetzen.
Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14.07.xx als sachlich unbegründet zurück. So könne Vorsatz auch nicht in Form des dolus eventualis als nachgewiesen angesehen werden. Der Fall eines mit gemeingefährlichen Mitteln begangenen Verbrechens liege ebenfalls nicht vor, da es bereits an einem Verbrechen fehle.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der am 14.08.xx erhobenen Klage, mit der er zunächst neben der Feststellung einer Anerkennung als Opfer im Sinne des OEG auch entsprechende Versorgungsleistungen begehrt. Im Anschluss an die übersandten Fragebögen für eine Bedürftigkeitsprüfung im Sinne des § 10 a OEG hält der als kaufmännischer Angestellter tätige Kläger die Klage allein hinsichtlich des Feststellungsantrages aufrecht.
Zur Begründung seiner Klage wiederholt der Kläger sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und macht geltend, der Begriff des tätlichen Angriffs sei nicht dem Strafrecht zu entlehnen, sondern dem Entschädigungsrecht. Ferner sei der Zusatz "feindliche" Aktion ein superfluum, welches der lateinischen Regel "superfluum nocet" unterfalle. Eine unmittelbar auf die körperliche Integrität eines anderen abzielende Aktion sei denklogisch immer feindlich. Es liege Vorsatz in Form des dolus eventualis vor. Es sei davon auszugehen, dass zumindest der damalige Wissenschaftliche Direktor und Chefchemiker Dr. N., um die Gefährlichkeit seines Tuns wusste und die letztlich entstandenen Schäden billigend in Kauf genommen habe. Mit Experimenten habe sich N. bereits während des Zweiten Weltkrieges ausgekannt. Dem Einstellungsbeschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Aachen im Contergan-Verfahren sei insbesondere auf den Seiten 74 ff. zu nehmen, dass von einem Verschulden in Form des dolus eventualis ausgegangen werde. Im Übrigen sei das OEG verfassungswidrig und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Durch das OEG werde für Unrecht Dritter die Haftung übernommen und es liege ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz vor, da es sich durch Zufall ergebe, ob der Geschädigte durch einen Dritten oder den Staat geschädigt werde. Die Bundesrepublik Deutschland wäre verpflichtet gewesen, den international gesuchten Kriegsverbrecher N. zumindest nicht in der Position tätig werden zu lassen, in der er tatsächlich tätig war. Bezogen auf den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 22.02.2010 - L 10 (6) B 8/09 VG - führt der Kläger weiter aus, der Amtsermittlungsgrundsatz sei verkannt worden. Hätte das LSG die Abhandlung von Beate Kirk (Kirk, Beate, Der Contergan-Fall, eine unvermeidbare Arzneimittelkatastrophe, 1999) hinzugezogen, wäre deutlich geworden, dass die Chemie Grünenthal GmbH spätestens seit Ende 1959 Hinweise gehabt habe, die mindestens eine Überprüfung der thalidomidhaltigen Präparate erforderlich gemacht hätten. Trotz Kenntnis der M...