Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. Deutschland. Zwangsmitgliedschaft. Unternehmer. Europarechtskonformität. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Die Zwangsmitgliedschaft zur gesetzlichen Unfallversicherung gem §§ 150ff SGB 7 verstößt weder gegen europäisches Gemeinschaftsrecht noch gegen das Grundgesetz.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin aus der Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten zu entlassen ist, soweit der Bereich der Versicherung der Arbeitnehmer gegen die Risiken des Arbeitsunfalls und der Berufskrankheiten betroffen ist, insbesondere ob die Pflichtmitgliedschaft mit Verfassungs- und Europarecht vereinbar ist.
Der Betrieb der Klägerin (Tiefkühlkuchenbäckerei) wurde am 6. August 1998 bei der Beklagten angemeldet. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 26. August 1998 ihre Zuständigkeit für den Betrieb der Klägerin fest. Mit Bescheid vom 27. Januar 2004 stellte die Beklagte ihre Zuständigkeit wegen einer Neuveranlagung fest.
Die Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 8. Juli 2004 an die Beklagte und erklärte die Kündigung der Mitgliedschaft. Sie teilte mit, die Sicherstellung des heute gesetzlich geregelten Versicherungsumfanges sei auf privatwirtschaftlicher Basis wesentlich kostengünstiger. Eine weitere Begründung wurde durch die Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 2. August 2004 abgegeben.
Mit Schreiben vom 26. August 2004 teilte die Beklagte mit, die Berufsgenossenschaften seien mit dem Ziel geschaffen worden, die Arbeitnehmer bei gesundheitlichen Schäden abzusichern und die Unternehmer vom Risiko hoher Schadensersatzansprüche zu entlasten. Die Berufsgenossenschaften seien zur Übernahme aller Kosten für die optimale medizinische Betreuung der Versicherten und deren berufliche und soziale Wiedereingliederung verpflichtet. Privatversicherungen könnten die gesetzliche Unfallversicherung nicht ersetzen, lediglich ergänzen.
Die Beklagte erteilte einen Widerspruchsbescheid vom 11. November 2004, in dem sie auf den Widerspruch vom 2. August 2004 gegen den Zuständigkeitsbescheid vom 27. Januar 2004 Bezug nahm: Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII seien alle Beschäftigten Kraft Gesetzes gegen die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten versichert. Dabei habe der Gesetzgeber bewusst die Prävention, Rehabilitation und Entschädigung in die Zuständigkeit eines Versicherungsträgers gelegt.
Mit einem Schriftsatz vom 11. November 2004, eingegangen am 16. November 2004, erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. August 2004. Sie trug vor, dass günstigere Angebot ausländischer Versicherer könne sie nicht wahrnehmen, wodurch sie in ihrer passiven Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigt werde. Hinzu treten Verstöße gegen Art. 2, 3, 9, 12, 14 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin sei in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit betroffen, werde gegenüber Konkurrenten, die bei günstigeren Versicherern abgesichert seien, benachteiligt, ihr werde die Möglichkeit genommen, ihre Mitgliedschaft frei zu wählen, und letztlich werde in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingegriffen. Die Rechtmäßigkeit einer Pflichtmitgliedschaft stelle die Klägerin grundsätzlich nicht in Frage. Sie wolle auch künftig ihre Arbeitnehmer gegen die genannten Risiken absichern, möchte aber wählen können, bei welchem Anbieter sie diese Absicherung vornehme. Die Klägerin möchte ab dem 1. Januar 2005 die Wahlfreiheit haben, die ihr durch den angegriffenen Bescheid verwehrt werde.
Die Klägerin hat am 8. Dezember 2004 Klage erhoben und trägt im wesentlichen vor, die Monopolstellung der Berufsgenossenschaften verletze die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs und die Pflicht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Beachtung der Wettbewerbsvorschriften. Die Klägerin rügt eine Verletzung der so genannten passiven Dienstleistungsfreiheit. Das Monopol der Berufsgenossenschaften hindere andere Unfallversicherer unmittelbar am Marktzugang in Deutschland, verwehre gleichzeitig inländischen Nachfragenden die Annahme grenzüberschreitender Angebote und beschränke damit die grenzüberschreitende Versicherung. Die Dienstleistungsfreiheit umfasse auch die passive Dienstleistungsfreiheit. Das Sozialversicherungsmonopol verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Eine Abschaffung des Versicherungsmonopols der Berufsgenossenschaften würde dazu führen, dass bei der Unfallversicherung durch Private die Versicherungsleitungen getrennt von den hoheitlichen Aufgaben der Berufsgenossenschaften - Schadenverhütung und satzungsrechtliche Gestaltung des Versicherungsverhältnisses - erbracht werden müssten. Eine funktionelle Verbindung der Aufgaben von Versicherung und Unfallverhütung bestehe nicht. Weiterhin verstoße die Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten gegen die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Beachtung der Wettbewerbsvorschriften. Das berufsgenossenschaftliche Monopol durchbreche den Grundgedanken der Gewerbefreiheit, die das Bundesve...