Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Kinderzuschlag. nicht zugleich Antrag auf Alg II. Meistbegünstigungsprinzip. objektive Gründe für Beschränkung des Antrags auf Kinderzuschlag. Rückforderung des Kinderzuschlags und Nachholung der Antragstellung auf Alg II. Rückwirkung des Antrags. Forderungserlass durch die Familienkasse
Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein zu Unrecht gewährter Kinderzuschlag zurückgefordert, kann die Familienkasse zu einer Ermessensentscheidung über den Erlass der Rückforderung verpflichtet sein, wenn ein fristwahrender Antrag auf Arbeitslosengeld II für denselben Leistungszeitraum nicht mehr möglich ist.
2. Ein Antrag auf Kinderzuschlag ist nicht grundsätzlich auch als Antrag auf Leistungen nach dem SGB II auszulegen. Eine erweiternde Auslegung eines solchen Antrags nach dem Meistbegünstigungsprinzip kommt nicht in Betracht, wenn der tatsächliche Wille des Antragstellers auf die ausdrücklich beantragte Leistung (Kinderzuschlag) begrenzt war und diese Einschränkung nicht objektiv unvernünftig war.
3. Eine erweiternde Auslegung der Regelung in § 28 SGB X, etwa durch Verlängerung der in der Vorschrift vorgesehenen Rückwirkung, ist in diesem Fall nicht veranlasst.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die rückwirkende Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) für den Zeitraum Juli bis Dezember 2014 im Streit, nachdem die Familienkasse für diesen Zeitraum rückwirkend die Bewilligung eines Kinderzuschlags aufgehoben hat.
Die Klägerin bezog im Zeitraum Juli bis Dezember 2014 einen Kinderzuschlag nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) von der Familienkasse Baden-Württemberg West (Familienkasse). Der Ehemann der Klägerin war zu diesem Zeitpunkt selbständig tätig. Die Gewährung des Kinderzuschlags durch die Familienkasse beruhte auf einer Prognose der erwarteten betrieblichen Einkünfte des Ehemanns der Klägerin unter Berücksichtigung des gewährten Wohngelds.
Mit Schreiben vom 02.04.2015 hörte die Familienkasse die Klägerin dazu an, dass der im Zeitraum Juli 2014 bis Dezember 2014 in Höhe von 560,-- € monatlich gewährte Kinderzuschlag zu Unrecht gewährt worden sei, da nach Vorlage der betriebswirtschaftlichen Auswertung in diesem Zeitraum keine Gewinne erzielt worden seien. Mit dem Kinderzuschlag und dem Wohngeld habe demnach der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft nicht gedeckt werden können. Die Klägerin wurde gebeten, für den Zeitraum ab Juli 2014 einen Anspruch auf Alg II prüfen zu lassen; der Erstattungsanspruch könne dann beim Jobcenter geltend gemacht werden.
Der Ehemann der Klägerin antwortete hierauf am 25.04.2015, dass er damals einen Kinderzuschlag beantragt habe, weil er kein Geld gehabt habe, und nie auf die Idee gekommen sei, zum Jobcenter zu gehen. Der Erstattungsbetrag von 3.360,-- € könne nicht zurückgezahlt werden, da kein Gewinn erzielt worden sei.
Mit Bescheid vom 13.05.2015 hob die Familienkasse die Bewilligung des Kinderzuschlags für den Zeitraum bis Dezember 2014 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X in vollem Umfang auf, da die Hilfebedürftigkeit nicht vermieden worden sei. Nach der Erläuterung der Sach- und Rechtslage wurde in diesem Bescheid auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Anspruch nach dem SGB II bestehen könnte und dieser Antrag unverzüglich bei dem örtlich zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt werden möge. Hierbei wurde auch erwähnt, dass bei einer späteren Antragstellung rückwirkende Ansprüche möglicherweise verloren gehen könnten.
Mit Schreiben an das Jobcenter vom 13.05.2015 wies die Familienkasse darauf hin, dass eventuell ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II der Bedarfsgemeinschaft bestanden habe. Die Anspruchsberechtigten seien aufgefordert worden, einen Antrag auf Alg II innerhalb eines Monats zu stellen. Gleichzeitig machte die Familienkasse dort einen Erstattungsanspruch geltend. Hierdurch erfuhr der Beklagte im Mai 2015 erstmalig von den voranstehend geschilderten Vorgängen.
Im Widerspruchsverfahren führte die Familienkasse gegenüber den Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 26.10.2015 u.a. auch aus, dass die Klägerin bereits im April 2015 erfolglos zur Antragstellung beim zuständigen Jobcenter aufgefordert worden sei, ein Antrag jedoch nicht gestellt worden sei.
Auch danach stellten weder die Klägerin noch ihre Bevollmächtigten einen ausdrücklichen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem vorliegend beklagten Jobcenter.
Der Widerspruch der Klägerin vom 09.06.2015 wurde mit Widerspruchsbescheid der Familienkasse vom 16.02.2016 zurückgewiesen. In den hierzu durchgeführten Klageverfahren beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) mit den Aktenzeichen S 6 BK 844/16 (betreffend die Aufhebungsentscheidung) sowie S 6 BK 4417/16 (betreffend die Erstattungsentscheidung) wurde am 29.01.2018 durch die zuständige 6. Kammer ein Erörterungstermin durchgeführt, in dem der Kammervorsitzende die Rücknahme der Klagen anregte. Die Vertreterin der Familienkass...