Detlef Burhoff, Dr. iur. Thorsten Junker
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Beschwerden im Zusammenhang mit der Bestellung als Pflichtverteidiger unterliegen nicht der generellen Beschwerdeeinschränkung des § 305 S. 1. |
2. |
Jeder Angeklagte, dessen Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt wird, ist beschwert. Beschwer kann aber auch auftreten, wenn dem verteidigten Angeklagten grundlos ein Pflichtverteidiger bestellt wird. In sog. Komplexverfahren kann dagegen gerade ein Anspruch auf die Bestellung eines weiteren Verteidigers bestehen. |
3. |
Im Ermittlungsverfahren erfolgt die Bestellung zum Pflichtverteidiger nur, wenn dies von der StA beantragt wurde. |
4. |
Soweit es die Beschwer des Angeklagten/Beschuldigten betrifft, hat der Verteidiger kein eigenes Beschwerderecht, kann also nur im Auftrag des Mandanten tätig werden. |
Rdn 539
Literaturhinweise:
Dieblich, Zur Anfechtbarkeit der während einer Hauptverhandlung ergangenen Entscheidung des Vorsitzenden, keinen weiteren Pflichtverteidiger zu bestellen, NStZ 1988, 288
Ellersiek, Die Beschwerde im Strafprozess, 1981
Ernst, Die notwendige Verteidigung im beschleunigten Verfahren vor dem Amtsgericht, StV 2001, 367
Hilgendorf, Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung gem. § 143 StPO, NStZ 1996, 1
Wasserburg, Zur Anfechtbarkeit einer Pflichtverteidigerbestellung, zu den Anforderungen an die Ankündigung einer Mandatsniederlegung durch den Wahlverteidiger und zur Ablehnung des vom Angeklagten gewünschten Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger, NStZ 1991, 250
s.a. die Hinw. bei → Beschwerde, Allgemeines, Teil A Rdn 400.
Rdn 540
1.a) Da die Institution des Pflichtverteidigers das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausgestaltung als Gebot des fairen Verfahrens konkretisiert, können nahezu in jedem Stadium des Verfahrens Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Pflichtverteidigung (§ 140), dessen Auswahl (§ 142), dessen Bestellung (§ 141) sowie die Rücknahme der Bestellung (§ 143) mit der Beschwerde (§ 304 Abs. 1) angefochten werden (vgl. eingehend Burhoff, EV, Rn 2980 ff.; Burhoff, HV, Rn 1967 ff.).
☆ Eine Ausnahme besteht, wenn die Entscheidung vom Vorsitzenden des OLG-Senats getroffen wurde, da die Beschwerde dann ausgeschlossen ist; denn der Katalog des § 304 Abs. 4 S. 2 (→ Beschwerde, Beschwerdeausschluss , Teil A Rdn 418 ) sieht keine entsprechende Beschwerdemöglichkeit vor (BGH NJW 1976, 431).Ausnahme besteht, wenn die Entscheidung vom Vorsitzenden des OLG-Senats getroffen wurde, da die Beschwerde dann ausgeschlossen ist; denn der Katalog des § 304 Abs. 4 S. 2 (→ Beschwerde, Beschwerdeausschluss, Teil A Rdn 418) sieht keine entsprechende Beschwerdemöglichkeit vor (BGH NJW 1976, 431).
Rdn 541
b) § 305 S. 1 (→ Beschwerde, Beschwerdeeinschränkung, generelle, Teil A Rdn 484) schließt nach h.M. die Beschwerde nicht aus. Bei den im Zusammenhang mit der Pflichtverteidigung ergehenden Entscheidungen handelt es sich nicht um solche, die (nur) der Urteilsfällung vorausgehen, sondern darüber hinaus das gesamte Verfahren beeinflussen und damit dessen Fairness tangieren, weshalb die Beschwerde stets statthaft ist (KG NStZ-RR 2014, 279; StV 1986, 239; OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.2.2006 – 1 Ws 25/06; OLG Braunschweig StV 1996, 6; OLG Celle NStZ 1985, 519; OLG Düsseldorf NStZ 1986, 138; StV 2010, 350; StraFo 1999, 124; OLG Frankfurt/Main StV 1997, 573; OLG Hamburg StraFo 2014, 383; OLG Hamm NStZ 1990, 143; StRR 2014, 202; OLG Koblenz, Beschl. v. 1.12.2014 – 2 Ws 616/14; wistra 1983, 122; OLG Köln NStZ 1991, 248; m. Anm. Wasserburg; StV 1989, 241; OLG München NJW 1981, 220; OLG Naumburg StV 2013, 200 (Ls.); OLG Nürnberg StV 1987, 191; OLG Schleswig SchlHA 1989, 105 [L/G]; OLG Stuttgart StV 1998, 123; NStZ-RR 1996, 207; LG Berlin StV 2009, 14; LG Erfurt StV 2011, 665 [Ls.]; Burhoff, EV, Rn 2980 ff.; ders., HV, Rn 1979; KK-StPO/Laufhütte/Willnow, § 141 Rn 13; Meyer-Goßner/Schmitt, § 141 Rn 110a; Meyer-Goßner/Schmitt, § 305 Rn 5; MüKo-StPO/Thomas/Kämpfer, § 142 Rn 22; SK-StPO/Wohlers, § 141 Rn 32; SSW-StPO/Hoch, § 305 Rn 15).
☆ Ältere Rechtsprechung , in der noch eine gegenteilige Auffassung vertreten wurde (OLG Karlsruhe NStZ 1988, 287 m. abl. Anm. Dieblich ; OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 206); OLG Naumburg NStZ-RR 1996, 42; OLG Zweibrücken NStZ 1987, 472 m. abl. Anm. Gatzweiler StV 1988, 520), findet heute infolge stärkerer Berücksichtigung des Fair-Trial-Grundsatzes keine Anwendung mehr. Unzutreffend ist auch die Auffassung, an Stelle einer Beschwerde könne gegen die Vorsitzendenverfügung nur Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 238 Abs. 2) gestellt werden (so OLG Hamburg JR 1986, 257 mit Anm. Wagner ; OLG Hamm NJW 1973, 818; OLG Karlsruhe NStZ 1988, 287; MDR 1979, 780; OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 206; OLG Köln NStE Nr. 6 zu § 141 StPO = StV 1991, 509 [Ls.]; StraFo 1995, 25 mit abl. Anm. Münchhalffen ; OLG Stuttgart OLGSt StPO § 305 Nr. 5; OLG Zweibrücken VRS 50, 437; NStZ 1987, 477). Da die Entscheidung des Vorsitzenden keine auf die Sachleitung bezogene Anordnung darstellt, ist ein derartiger Antrag ausgeschlossen (...