Entscheidungsstichwort (Thema)
Wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB. Erforderlichkeit einer Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten fristlosen Kündigung. Vorsätzlicher Diebstahl von Betriebsmaterial als Kündigungsgrund
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer fristlosen Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d. h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Falles jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Unberechtigte Materialmitnahme aus dem Betrieb kann einen wichtigen Grund darstellen.
2. Beruht die Pflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die außerordentliche und ordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus.
3. Hat der Arbeitnehmer bei einer Taschenkontrolle zwei Silikontuben in einer Seitentasche seines Rucksacks versteckt und dies bei der Kontrolle nicht offenbart, hat er bewusst und gewollt versucht, den Diebstahl zu verheimlichen und das Material aus dem Betrieb mitzunehmen. Dies reicht als Kündigungsgrund aus, zumal es einige Zeit vorher eine einschlägige Abmahnung gegeben hatte.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 23 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Suhl (Entscheidung vom 15.07.2021; Aktenzeichen 4 Ca 997/18) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 15.07.2021 - 1 Ca 997/18 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von außerordentlichen hilfsweise ordentlichen Kündigungen vom 7. und 26.09.2018, Annahmeverzugslohn und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.
Der am xx.xx.1972 geborene, verheiratete Kläger war bei der Beklagten seit 01.03.1999 als Schreiner/Tischler zuletzt zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von 2.493,05 € beschäftigt.
Mit Schreiben vom 02.05.2011 erteilte der Beklagte dem Kläger eine "Abmahnung". Darin teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass seine Frau nach Dienstschluss eine Taschenkontrolle durchgeführt habe bei der verschiedene Holzteile sichergestellt worden seien. Er sehe darin eine grobe Pflichtverletzung und kündigte für den Wiederholungsfall eine fristlose Kündigung an. Wegen der Einzelheiten des Inhaltes dieses Schreibens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 118 der Akte) verwiesen.
Am 07.08.2017 erteilte der Beklagte einer Arbeitskollegin des Klägers, Frau A..., eine Abmahnung wegen Diebstahls einer Schaumdose. Wegen der Einzelheiten des Inhaltes dieses Schreibens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 213 der Akte) Bezug genommen.
Beim Beklagten war es üblich, dass die Mitarbeiter Material mitnehmen konnten. Ein systematischer, geordneter Ablauf und ein Dokumentationswesen hierfür gab es nicht. Ebenso wurde die Frage einer Bezahlung unterschiedlich gehandhabt. Wenn der Beklagte meinte, die Mitarbeiter*innen sollten für das mitzunehmende Material einen Geldbetrag entrichten, wies er sie an, diesen in eine sogenannte Kaffeekasse zu tun. Zum Teil waren über die Materialmitnahme Zettel auszufüllen und zu hinterlegen. Im Übrigen ist die Verfahrensweise der Materialmitnahme im Einzelnen zwischen Parteien streitig.
Am 05.09.2018 ging der Kläger zu einem Arbeitskollegen, Herrn B..., und bat ihn, ihm zwei Silikontuben aus dem Arbeitsschrank zu geben. Nachdem aufgrund zwischen den Parteien streitiger Einzelheiten der Beklagte und dessen Ehefrau Kenntnis davon hatten, dass der Kläger zwei Silikontuben mitnehmen wollte, führte die Ehefrau des Beklagten am Nachmittag beim Kläger eine Taschenkontrolle durch. Der Kläger öffnete dabei seinen Rucksack, in dem sich Holzteile befanden, wobei Qualität, Umfang und Einzelheiten auch diesbezüglich zwischen den Parteien streitig sind. Die Ehefrau des Beklagten äußerte sodann, dass sie eigentlich nach etwas anderem suche. Daraufhin öffnete der Kläger ein weiteres bislang verschlossenes Fach seines Rucksacks und offenbarte den Inhalt, die zwei Silikontuben.
Mit Schreiben vom 07.09.2018 sprach der Beklagte dem Kläger die außerordentliche Kündigung aus. Hiergegen richtet sich seine dem Beklagten am 21.09.2018 zugestellte Klage.
Wegen des Weiteren unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug, Ihrer dort vertretenen Rechtsansichten und gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (S. 2 bis 5 des Entscheidungsabdrucks (Bl. 321 Rückseite bis Bl. 323 der Akte) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 15.07.2021 hat das Arbeitsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteil...