Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht: Beschädigtenversorgung nach Impfschaden. Anforderungen an den Ursachenzusammenhang zwischen einer Tuberkulose-Impfung und einer Osteomyelitis
Orientierungssatz
Trat nach einer Tuberkulose-Impfung (hier: BCG-Impfung in der ehemaligen DDR) innerhalb weniger Tage (hier: ca. 14 Tage) eine Knochenentzündung in Form einer Osteomyelitis auf, so ist nicht von einem Impfschaden auszugehen, da die kurze Zeitdauer zwischen Impfung und Erkrankung nicht für eine Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs spricht.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 07. April 2009 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Beschädigtenversorgung wegen eines Impfschadens.
Die am 18. Januar 1956 geborene Klägerin wurde am 27. (24.) Januar 1956 gegen Tuberkulose mit dem Lebendimpfstoff BCG geimpft.
Kurze Zeit später, der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt, entwickelte sich bei ihr eine Osteomyelitis an beiden Oberarmen und am rechten Oberschenkel.
Am 03. Oktober 1969 beantragte die Mutter der Klägerin beim seinerzeit zuständigen Rat des Kreises R. die Anerkennung als Beschädigte (Bl. 84 f. d.A.). Wegen der Erkrankung wurde die Klägerin in der Folgezeit häufig stationär behandelt, seit 1977 ist sie invalidisiert. Ihr wurden mit Bescheiden des Versorgungsamtes G. vom 25. September 1992 und vom 21. November 2002 ein GdB sowie die Merkzeichen "B", "G" und "aG" zuerkannt.
Am 26. Januar 2005 beantragte sie beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt des Beklagten (künftig: Beklagter) Beschädigtenversorgung. Der Beklagte holte verschiedene Befundberichte und Atteste ein, wobei der früheste Bericht aus der Zeit Anfang Mai 1957 stammt (Bl. 30 d. VwA). Frühere Unterlagen sind nicht mehr auffindbar.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04. Oktober 2005 ab. Der Widerspruch der Klägerin wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2006 zurückgewiesen. Gegen den am 12. Mai 2006 abgesandten Bescheid erhob die Klägerin am 15. Juni 2006 Klage zum Sozialgericht. Im Laufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens legte die Klägerin den Impfschein über die angeschuldigte Impfung vor.
Das Sozialgericht hat am 07. April 2009 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift erteilte der Vorsitzende folgenden Hinweis: "Nachdem nunmehr unstreitig ist, dass bei der Klägerin im Januar 1956, also kurz nach ihrer Geburt, eine BCG-Impfung stattgefunden hat, wäre auch nach Auffassung des Beklagtenvertreters die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schädigung und Schädigungsfolge dann gegeben, wenn erste Krankheitssymptome nach Ablauf der Inkubationszeit (nach Auffassung des Beklagten mindestens vierzehn Tage) aufgetreten wären.".
Der Beklagtenvertreter hat im Termin geäußert, dass selbstverständlich bei einem Ablauf von 1956 bis 2009 heute von der Mutter der Klägerin keine genauen Angaben mehr zu erwarten seien. Deshalb sehe er die Angabe der Mutter im Jahre 1959 (vierzehn Tage) sehr wohl als die Erinnerungsnächste an, die damalige Zeitangabe der Mutter sei aber nicht als absolute Begrenzung auf vierzehn Tage anzusehen. Im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung erklärte er, dass er aufgrund der nicht eindeutigen Beweislage weiter die Auffassung vertrete, dass ein Entschädigungsanspruch nicht bestehe und beantragte sodann, die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat den Beklagten durch Urteil vom 07. April 2009 entsprechend dem Antrag der Klägerin zur Gewährung von Beschädigtenversorgung verurteilt. Zur Begründung ist ausgeführt, die Impfung sei nachgewiesen, die Kausalität der Impfung für die Gesundheitsschäden der Klägerin sei überwiegend wahrscheinlich.
Gegen das am 23. Juli 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 14. August 2009 beim Landessozialgericht eingegangene Berufung des Beklagten, mit der dieser die Abweisung der Klage erstrebt. Zur Begründung ist ausgeführt, der erforderliche Erregernachweis liege nicht vor. Die klinischen Zeichen sowie die deutlich zu geringe Inkubationszeit schlössen einen Ursachenzusammenhang aus. Auch das gute Ansprechen der Klägerin auf die Behandlung mit Antibiotika spreche für einen anderen Erreger.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 07. April 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das Urteil des Sozialgerichts und vertritt die Auffassung, der Beklagte habe im Termin vor dem Sozialgericht die zeitliche Komponente bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen der Impfung und der Schädigungsfolge anerkannt. In der Berufungsinstanz sei keine davon abweichende Beurteilung zulässig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagt...