Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Anspruch auf weitere Heilbehandlung. Nachweis unfallbedingter Behandlungsbedürftigkeit. klar definiertes Behandlungsziel. sozialgerichtliches Verfahren. gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes gem § 109 SGG. Verbrauch des Antragsrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Der Unfallversicherungsträger hat nach § 26 Abs 2 Nr 1 SGB 7 mit allen geeigneten Mitteln den durch den Versicherungsfall iS des § 7 SGB 7 verursachten Gesundheitsschaden zu beseitigen und zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mildern. Der Nachweis unfallbedingter Behandlungsbedürftigkeit setzt zwecks Beurteilung der Geeignetheit der einzelnen Heilbehandlungsmaßnahme voraus, dass ein klar definiertes Behandlungsziel vorliegen muss.
2. Zur Ablehnung eines Antrags des Versicherten auf gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes wegen Verbrauchs des Antragsrechtes.
Orientierungssatz
Zum Nichtvorligen eines Anspruchs auf Gewährung weiterer Heilbehandlung in Form von manueller Physiotherapie, Eisanwendung und klassischen Massagen wegen der gesundheitlichen Folgen eines Arbeitsunfalls (hier: knöchern verheilte Oberarmkopfmehrfragmentfraktur mit Funktionseinschränkungen).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. September 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Übernahme weiterer Heilbehandlungskosten (manuelle Physiotherapie, Eisanwendungen und klassische Massagen) wegen eines am 4. Dezember 2005 erlittenen Arbeitsunfalles hat.
Die 1973 geborene Klägerin erlitt am 4. Dezember 2005 einen Wegeunfall, als sie zu Hause vor der Tür auf dem Weg zur Arbeit ausrutschte und auf die rechte Schulter stürzte. Ausweislich des Durchgangsarztberichtes vom 5. Dezember 2005 zog sie sich eine dislozierte Humeruskopfmehrfragmentfraktur zu. Im Auftrag der Beklagten erstattete der Chirurg H1 am 7. September 2010 ein Zusammenhangsgutachten. Darin führte er aus, dass durch das Unfallereignis vom 4. Dezember 2005 eine Oberarmkopffraktur rechts mit Fragmentdislokation erfolgt sei. Aktuell leide die Klägerin an einem subagromialen Schmerzsyndrom rechts ausgelöst durch postoperative Verwachsungen und geringgradige Läsion an der Rotatorenmanschette rechts. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde mit 10 vom Hundert (v. H.) beziffert. Eine Nachuntersuchung sei erforderlich, weil bislang kein Abschluss im Heilverlauf eingetreten sei. Bei den Beschwerden an der rechten Schulter handele es sich noch nicht um einen Dauerzustand. Funktionsverbesserung durch Gebrauch und Gewöhnung könnten erwartet werden. Eine berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung für die Dauer von drei Wochen sei zu empfehlen. Dieser Empfehlung widersprach der Beratungsarzt der Beklagten S1 in einer Stellungnahme vom 14. Oktober 2010. Weitere Behandlungsmaßnahmen seien bei guter Funktion nicht angezeigt.
Durch Bescheid vom 7. Dezember 2010 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 4. Dezember 2005 als Arbeitsunfall an mit folgenden Unfallfolgen: Bewegungseinschränkung des Schultergelenkes, Verschmächtigung des Schultergürtels, Missempfinden im Narbenbereich, röntgenologisch nachweisbare Veränderungen im ehemaligen Bruchbereich nach fest verheiltem Oberarmkopfbruch rechts. Nicht als Unfallfolge anerkannt wurde eine Arthrose des Acromio-Clavicular-Gelenks. Die Gewährung einer Verletztenrente wurde abgelehnt. Ein hiergegen durch die Klägerin eingelegter Widerspruch wurde durch Bescheid vom 27. April 2011 zurückgewiesen. Am 18. Dezember 2012 stellte die Klägerin einen Überprüfungsantrag nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und beantragte, auch die Arthrose des Acromio-Clavicular-Gelenks als Unfallfolge festzustellen und eine MdE von 40 v. H. anzuerkennen. Daraufhin erstattete im Auftrag der Beklagten der Direktor der Klinik für Unfallchirurgie H2 am 14. August 2014 ein weiteres unfallchirurgisches Gutachten. Darin führt dieser aus, dass in Auswertung der bildgebenden Befunde die beschriebene Schultereckgelenkarthrose nicht ursächlich auf das Unfallereignis vom 4. Dezember 2005 zurückgeführt werden könne. Es bleibe daher bei der als Unfallfolge anerkannten Oberarmkopfmehrfragmentfraktur rechts. Die MdE sei mit 20 v. H. einzuschätzen. Gegenüber den Vorgutachten sei eine Verschlechterung eingetreten.
Daraufhin gewährte die Beklagte durch Bescheid vom 28. Oktober 2014 der Klägerin ab dem 6. Mai 2013 wegen der Folgen ihres Arbeitsunfalls eine Rente nach einer MdE von 20 v. H. auf unbestimmte Zeit. Als Unfallfolgen wurden definiert:
„Bewegungseinschränkung der Schulter in allen Richtungen, Muskelminderung am Arm, röntgenologisch nachweisbare Veränderungen am Oberarmkopf (Stufenbildung und Konturinhomogenität) nach fest verheiltem Oberarmkopfbruch rechts“.
Als Unfallfolge ...