Rz. 185
Die Befreiung von der Primärleistungspflicht kann nach 3 verschiedenen Tatbeständen erfolgen, die sich in den Tatbestandsvoraussetzungen und teilweise in ihren Rechtsfolgen unterscheiden. Eine klare Abgrenzung ist daher in der Praxis von besonderer Bedeutung.
10.1.1 Gesetzlicher Ausschluss bei Unmöglichkeit der Leistung
Rz. 186
Der Anspruch des Arbeitgebers auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ist ausgeschlossen, wenn diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Die Leistungsbefreiung wegen Unmöglichkeit der Arbeitsleistung stellt eine kraft Gesetzes zu beachtende Einwendung dar. Die Arbeit ist gem. § 613 Satz 1 im Zweifel persönlich zu leisten, weshalb das Unvermögen des Arbeitnehmers regelmäßig die objektive Unmöglichkeit zur Folge hat, da grundsätzlich nicht darauf abgestellt werden kann, ob ein anderer Arbeitnehmer die Leistung erbringen könnte.
Rz. 187
Problematisch ist die Behandlung des Grundsatzes des allgemeinen Schuldrechts, dass Unmöglichkeit und Verzug sich gegenseitig ausschließen. Kriterium der Abgrenzung ist die Nachholbarkeit der Leistung. Die Arbeitsleistung ist regelmäßig aufgrund der Bindung an arbeitsvertraglich bestimmte Zeiten ihrer Erbringung nicht nachholbar. Nach herrschender Meinung hat die Arbeitsleistung daher einen absoluten Fixschuldcharakter. Bei jeder Nichtleistung im Arbeitsverhältnis liegt im Zweifel sogleich Unmöglichkeit vor. Mangels Nachholbarkeit der Leistung ist ein Verzug und damit auch die Anwendung von § 615 BGB grundsätzlich ausgeschlossen. Im Rahmen des Dauerschuldverhältnisses schuldet der Arbeitnehmer am folgenden Tag meist bereits die nächste Teilleistung. Eine Nachleistung liegt schlechterdings nicht im Interesse des Arbeitnehmers. Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers ist besonders von der Zeit bestimmt, sodass die Nachleistung einen Eingriff in die übrige Arbeitskraft des Arbeitnehmers darstellen würde. Dies gilt insbesondere bei Teilzeitarbeitskräften, die ihre Arbeitszeit selbst bestimmen wollen und im Einzelfall mehrere Teilzeitarbeitsverhältnisse eingegangen sind. Darüber hinaus können Arbeitszeitbestimmungen die Nachleistung durch Überstunden zumindest bei längerer Dauer der Nichtleistung rechtlich unmöglich machen. Schließlich kann auch das Interesse des Arbeitgebers an der Nachleistung der Arbeit fehlen, wenn dieser auf die Laufzeit seiner Maschinen und eine bestimmte Betriebsorganisation angewiesen ist. Die herrschende Lehre lässt angesichts moderner Formen des Arbeitsverhältnisses Ausnahmen von der Regel der Einordnung der Arbeitsleistung als absolute Fixschuld zu. Bei Gleitzeitarbeitsverhältnissen und Arbeitszeitkonten wird man eine Nachleistungspflicht weiter annehmen können. Unmöglichkeit tritt erst mit der Nichterbringung der Arbeitsleistung in dem zugestandenen Erfüllungszeitraum ein. Die Rspr. geht, ebenso wie ein Teil der Lit., von einer relativen Fixschuld i. S. v. § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB aus. Diese Ansicht muss gegen sich gelten lassen, dass es an der Nachholbarkeit der Leistung meist fehlt, außerdem ist die Rechtsfolge eines Kündigungsrechts letztlich unbefriedigend. Entscheidend ist für die genaue Einordnung auf die im Einzelfall getroffene Vereinbarung und die Umstände des Arbeitsverhältnisses abzustellen. Teilzeitarbeitskräfte können abhängig von der jeweiligen vertraglichen Vereinbarung ein berechtigtes Interesse an der Nachholung der Arbeitsleistung haben, wenn sonst der Lohnanspruch entfiele. Objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn die vom Arbeitnehmer geschuldete Leistung nicht mehr wie geschuldet erbracht werden kann, weil die Betriebsstätte des Arbeitgebers durch einen Brand zerstört wurde, innerbetriebliche Störungen vorliegen oder Störungen von außen auf den Betrieb einwirken (Stromausfall, Naturkatastrophen etc.). Nichts anderes gilt, wenn der Arbeitgeber den Betrieb endgültig stilllegt und der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag keine anderweitige Beschäftigung schuldet oder der Arbeitnehmer die Betriebsstätte wegen schlechter Witterung nicht erreichen kann. Dagegen greift § 275 Abs. 1 BGB nicht, wenn die Arbeitsstätte, etwa aufgrund des Ausfalls öffentlicher Verkehrsmittel, nur noch mit erhöhten Aufwendungen erreichbar ist. Ein Beschäftigungsverbot oder das Auslaufen der Arbeitserlaubnis eines ausländischen Arbeitnehmers führt zu einer Befreiung von der Arbeitspflicht, da deren Erfüllung aus rechtlichen Gründen unmöglich ist. Die Abgrenzung der Fälle, die unter die gesetzliche Befreiung von der Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB fallen, von denen, die lediglich zu einem allgemeinen Leistungsverweigerungsrecht wegen Unzumutbarkeit gem. § 275 Abs. 3 BGB führen, ist – insbesondere bei Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit – umstritten.