Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstunfall. Berufskrankheit. Schädigung der Leibesfrucht. Verpflichtungsklage. Entbehrlichkeit des Vorverfahrens. Klagefrist. Meldefrist. Auftreten der Krankheit. Geltendmachen der Krankheit bei der Behörde. räumliche Bedingungen des Dienstes Bauschadstoffe. Kfz-Abgase aus Kfz-Werkstatt. Passivrauchen. Anerkennung wie eine Berufskrankheit. BK-Nr. 1303. BK-Nr. 1318. Phthalate. Weichmacher. Phenol. Toluol. Benzol. Krebserkrankungen. Sachverständigengutachten
Leitsatz (amtlich)
1. Im Fall des Kindes einer Beamtin, welches eine Schädigung i.S.v. § 30 Abs 1 S 3 BeamtVG durch schädliche Einwirkungen auf seine Mutter während der Schwangerschaft geltend macht, ist eine Verpflichtungsklage auf Anerkennung einer Schädigung gemäß § 30 Abs 1 S 3 BeamtVG statthaft, da an einer solchen Anerkennung ein Interesse besteht.
2. § 30 Abs 1 S 2 und S 3 i.V.m. § 30 Abs 2 S 2 BeamtVG räumen dem Kind einer Beamtin subjektive Rechte ein, die dieses im eigenen Namen geltend machen kann.
3. Die aus § 45 Abs 4 BeamtVG folgende Antragsfrist für Ansprüche des Kindes gemäß § 30 Abs 2 S 2 BeamtVG beginnt mit der Geburt, unabhängig davon, wann die Sorgeberechtigten erkannten oder erkennen konnten, dass die Möglichkeit einer Schädigung des Kindes durch schädliche Einwirkungen aus dem dienstlichen Bereich während der Schwangerschaft besteht. Dies gilt auch, wenn die Krankheit überhaupt erst nach Ablauf der 10-Jahres-Frist nach § 45 Abs 4 S 2 i.V.m. § 45 Abs 2 BeamtVG auftritt.
4. Eine Verpflichtungsklage auf Anerkennung einer bestimmten Krankheit als Berufskrankheit gemäß § 31 Abs 3 S 1 BeamtVG setzt voraus, dass der Beamte diese zuvor bei der Behörde geltend gemacht hat. Dies stimmt mit dem Meldeerfordernis nach § 45 Abs 1 BeamtVG überein. Eine schlichte Erwähnung in umfangreichem vorgerichtlichen Vortrag eines Beamten im Zusammenhang mit einer anderen Krankheit reicht nicht aus.
5. Krankheiten, denen der Beamte nicht nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung besonders ausgesetzt ist, sondern die aus den räumlichen Bedingungen des Dienstes folgen, können nicht als Berufskrankheiten gemäß § 31 Abs 3 S 1 BeamtVG anerkannt werden. Dadurch sind sämtliche Bauschadstoffe, Kfz-Abgase aus der Kfz-Werkstatt einer Berufsschule sowie Tabakrauch im Lehrerzimmer als Ursachen ausgeschlossen.
6. Die Anlage zur Berufskrankheitenverordnung – Berufskrankheitenliste – enthält eine abschließende Aufzählung der möglichen Berufskrankheiten. § 9 Abs 2 SGB VII ist nicht anwendbar, auch nicht analog.
7. Bei den offenen Tatbeständen der Berufskrankheitenliste, bei denen die schädigende Einwirkung, nicht jedoch die Erkrankung benannt ist (“Erkrankungen durch …”, z.B. Gruppe 13), ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen, dass die schädigende Einwirkung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft generell zu einer bestimmten Erkrankung führen kann. Dabei ist bei bösartigen Erkrankungen auf die konkrete Tumorlokalisation bzw. die Art der Erkrankung abzustellen. Dass “Krebs” allgemein verursacht werden kann, reicht nicht aus.
8. Phthalate und Phenol sind in der Berufskrankheitenliste als schädigende Substanzen nicht aufgeführt.
9. Es lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass Benzoleinwirkungen zum Auftreten von Brustkrebs führen; dies ist deshalb keine “Erkrankung durch Benzol”.
Normenkette
VwGO § 42 Abs. 1, 2. Alt., §§ 68, 74; BeamtVG § 30 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 2, § 31 Abs. 3 S. 1, § 45 Abs. 2, 4 S. 2; SGB 7 § 9 Abs. 2; BKVO Anlage Nr. 1303
Nachgehend
OVG für das Land Brandenburg (Aktenzeichen 3 A 590/11) |
Tenor
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 1. zu 2/3, der Kläger zu 2. zu 1/3.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die am 00.0.1958 geborene Klägerin ist verheiratet und hat drei Kinder (T…, * 00.0.1988; M…, * 0.0.1990; W…, der Kläger, * 00.0.1993). Sie steht als Berufsschul-Lehrerin auf Lebenszeit im Schuldienst des beklagten Landes (derzeit als Oberstudienrätin, Besoldungsgruppe A 14 Bundesbesoldungsordnung – BBesO).
Sie ist seit dem Jahr 1984 am Berufskolleg in H… beschäftigt, welches heute Teil des Berufsbildungszentrums (BBZ) H… ist. Sie unterrichtet die Fächer Chemie, Biologie, Ernährungslehre, Hygiene, Gesundheitswissenschaften sowie Fachkundeunterricht und technologische Übungen für Bäckereifachverkäuferinnen. Seit dem Jahr 1987 war sie dort zudem Sammlungsleiterin der Gefahrstoffe für die Chemieabteilung und seit 1992 Entsorgungsbeauftragte der gesamten Schule. Im Jahr 2003 wurde sie darüber hinaus als Gefahrstoffbeauftragte der Schule bestellt.
Träger des BBZ H… ist der Kreis O….
Schon seit Ende der 1980er Jahre – eventuell auch schon früher – machen Le...