Wenn Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt Leistungen erbringen (Sondervergütungen), ist eine Vereinbarung über die Kürzung dieser Leistungen auch für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit (AU) infolge Krankheit zulässig. Allerdings darf hierbei die Kürzung für jeden Tag der AU infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschritten werden (§ 4a EFZG).
Die Wirksamkeit einer auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützten Kündigung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BAG (s. nur Urt. v. 25.4. 2018 – 2 AZR 6/18, NZA 2018, 1056 Rn 19) zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Die prognostizierten Fehlzeiten sind sodann nur geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie im Hinblick auf eine zu erwartende erhebliche künftige Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Ist dies der Fall, ist schließlich i.R.d. gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen.
Für die Erstellung einer Prognose, mit welchen wirtschaftlichen Belastungen Arbeitgeber aufgrund künftiger krankheitsbedingter Ausfallzeiten zu rechnen hat, ist vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ein (vergangenheitsbezogener) Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich. Für die Beurteilung der zu erwartenden wirtschaftlichen Belastungen sind v.a. Entgeltfortzahlungskosten gem. §§ 3, 4 EFZG beachtlich. Eine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung liegt – vorbehaltlich einer Interessenabwägung – vor, wenn prognostisch die zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigenden Kosten jährlich insgesamt den Betrag übersteigen, der gem. §§ 3, 4 EFZG als Entgeltfortzahlung für sechs Wochen geschuldet ist (BAG, Urt. v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, ZAT 2018, 150 m. Anm. Gundel).
Im vorliegenden Fall hatte das BAG zu entscheiden, ob auch Sondervergütungen i.S.v. § 4a EFZG in den Jahren, in denen Arbeitnehmer teilweise oder durchgehend arbeitsunfähig waren, eine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers begründen können. Dies verneint das BAG (Urt. v. 22.7.2021 – 2 AZR 125/21, NZA 2021, 1551). Zunächst entscheidet es, dass Leistungen, mit denen ausschließlich die erbrachte und/oder eine künftig erwartete Betriebstreue und nicht auch eine bestimmte Arbeitsleistung honoriert werden soll (wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld), kündigungsrechtlich sich nicht zulasten des Arbeitnehmers auswirken dürfen. Der mit diesen Leistungen vom Arbeitgeber verfolgte Zweck wird durch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht beeinträchtigt. Der hierfür notwendige Bestand des Arbeitsverhältnisses bleibt von dem krankheitsbedingten Ausfall unberührt, der Arbeitgeber erhält gleichwohl die volle von ihm angestrebte Gegenleistung. Gleiches – keine Berücksichtigung zulasten des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers – gilt etwa für „freiwillig” übernommene Zuschüsse zum Krankengeld (BAG, Urt. v. 25.4.2018, a.a.O., Rn 31).
Sondervergütungen nach § 4a EFZG stellen, so das BAG, selbst dann keine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung dar, wenn sie nicht allein für den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern auch für eine Arbeitsleistung im Bezugszeitraum gezahlt werden. Zwar führt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers insofern zu einer – teilweisen – Störung des Austauschverhältnisses. Allerdings sei insoweit durch die Möglichkeit von Kürzungsvereinbarungen nach § 4a EFZG eine abschließende Risikozuweisung erfolgt (Rn 21).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bescheinigt das BAG dem Berufungsgericht, es habe in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise eine erhebliche wirtschaftliche Belastung der Beklagten durch künftig zu erwartende Krankheitszeiten der Klägerin verneint. Die Revision des Arbeitgebers blieb demnach erfolglos.
Hinweise:
1. |
Das BAG bestätigt seine – erstmals 2018 – gefällte Entscheidung eines Referenzzeitraums. Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist ein (vergangenheitsbezogener) Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich. |
2. |
Fristbeginn: Ist eine Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat, Personalrat, Mitarbeitervertretung) gebildet, ist auf die letzten drei Jahre vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens abzustellen. Ist nur eine Schwerbehindertenvertretung gebildet, ist die Rechtslage offen. |
3. |
Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses muss unzumutbar sein. Für die Beurteilung der zu erwartenden wirtschaftlichen Belastungen als Kündigungsgrund sind die Entgeltfortzahlungskosten gem. §§ 3, 4 EFZG im Referenzzeitraum beachtlich, sie sind Ausdruck einer Störung des Synallagmas. Irrelevant sind: Zuschüsse zum Krankengeld und Sondervergütungen (§ 4a EFZG). |
4. |
Der Referenzzeitraum führt zu einer Kündigungserschwerung. Längere Erkrankungen, die nicht zugleich die Erleichterung der Darlegungslast in sich tragen (dauerhafte Leistungsminderung oder dauerhafte Arbeitsunfähigke... |