aa) Erforderliche Feststellungen
Die von der obergerichtlichen Rechtsprechung für den Bereich der Messung mittels eines Radargeräts bzw. die mittels eines Lasermessgeräts aufgestellten Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen waren früher verhältnismäßig streng. Im Grunde genommen musste das verwandte Messverfahren im Einzelnen dargestellt und beschrieben werden. Davon ist die obergerichtliche Rechtsprechung dann jedoch abgerückt. Seit den Entscheidungen des BGH v. 19.8.1993 (vgl. BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081) und v. 30.10.1997 (vgl. BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 321) sind die Anforderungen an die Mindestfeststellungen, die der Tatrichter treffen und in den Entscheidungsgründen darlegen muss, erheblich gemildert worden. Der BGH ist nämlich der Auffassung, dass an die Urteilsgründe in Bußgeldverfahren keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083 = NZV 1993, 485), weil es sich bei diesen um Massenverfahren handelt. Deshalb sieht er es bei den sog. standardisierten Messverfahren (s.o. III. 1. b) als ausreichend an, wenn zur Messmethode nur mitgeteilt wird, welches Messverfahren angewandt worden ist, wobei noch nicht einmal der verwendete Gerätetyp angegeben werden muss. Außerdem muss der zu berücksichtigende Toleranzwert dargelegt werden (vgl. Burhoff/Burhoff, OWi, Rn. 2297 ff.; OLG Hamm DAR 2008, 101; vgl. zuletzt auch OLG Bamberg DAR 2012, 154 = VA 2012, 83 = VRR 2012, 148 zu Provida; OLG Celle VA 2013, 173; OLG Koblenz VA 2013, 67 = NZV 2013, 202 = DAR 2013, 218). Das letztere ist deshalb von Bedeutung, weil – auch nach dieser Rechtsprechung des BGH – der Tatrichter sich bei Berücksichtigung der Ergebnisse von technischen Geschwindigkeitsmessgeräten bewusst sein muss, dass auch bei diesen Messmethoden Fehler nicht auszuschließen sind, und deshalb den möglichen Fehlerquellen durch die Berücksichtigung von Messtoleranzen Rechnung getragen werden muss (BGH a.a.O.; BGHSt 28, 1, 2 = NJW 1978, 1930). Dass der Tatrichter dieses Erfordernis gesehen hat, dokumentiert er in den Urteilsgründen durch die erforderliche Mitteilung des Toleranzwertes. Als Toleranzwert reichen bei Geschwindigkeiten über 100 km/h i.d.R. 3 % (st. Rspr., u.a. OLG Hamm NZV 1995, 199; VA 2003, 87; OLG Karlsruhe NZV 2007, 256 = zfs 2007, 113 = VRS 111, 427 = VRR 2007, 35). Dieser Rechtsprechung des BGH haben sich in den folgenden Jahren alle Oberlandesgerichte angeschlossen (s. nur OLG Düsseldorf DAR 1994, 248, OLG Hamm NZV 1995, 118 = VRS 88, 307; DAR 1998, 281 = VRS 95, 293; OLG Köln NJW 1994, 1167; weitere Nachw. bei Burhoff/Burhoff, OWi, Rn. 2302 f.). Diese Anforderungen gelten i.Ü. auch, wenn der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung einräumt (OLG Hamm VRS 102, 218 = NZV 2002, 245, 282 = DAR 2002, 226 = zfs 2002, 404; s. dazu auch IV. 3.).
Hinweis:
Darüber hinaus muss sich der Tatrichter nur dann von der Zuverlässigkeit der konkreten Messung überzeugen, wenn auch konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind (so schon BayObLG DAR 1996, 411; OLG Hamm NStZ 1990, 546; DAR 1996, 153 = VRS 91, 148; DAR 2000, 129; OLG Saarbrücken NStZ 1996, 207). An dieser Stelle ist der Verteidiger des Betroffenen gefordert. Denn wenn in der Tatsacheninstanz keine Messfehler geltend gemacht bzw. behauptet werden, besteht für den Amtsrichter insoweit auch keine sich aus § 244 Abs. 2 StPO ergebende Aufklärungspflicht, so dass auch später in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht mit der Aufklärungsrüge in diesem Bereich ein Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht geltend gemacht werden kann. Deshalb muss schon beim Amtsgericht zu Besonderheiten, also Fehlern, der Messung vorgetragen werden (zu potentiellen Messfehlern s. bei den jeweiligen Messverfahren in Burhoff/Grün, Messungen, Burhoff/Burhoff, OWi, s.a. noch Geißler DAR 2014, 717 ff. und Ludovisy/Eggert/Burhoff/Golder, Straßenverkehrsrecht, § 7 Rn. 25 ff.). Das gilt insbesondere auch dann, wenn Besonderheiten geltend gemacht werden sollen, die einen höheren als den üblichen Toleranzabzug erforderlich machen (sollen) (OLG Hamm NZV 2000, 264; zum Beweisantrag im OWi-Verfahren Burhoff/Stephan, OWi, Rn. 566 m.w.N.; zur richterliche Aufklärungspflicht bei Geschwindigkeitsverstößen im Hinblick auf sog. Zusatzdaten Bellardita DAR 2014, 383).
bb) Exkurs: Akteneinsicht
(1) Umfang des Akteneinsichtsrechts
In dem Zusammenhang spielen die mit (Akten-)Einsicht in die Bedienungsanleitung und/oder andere Messunterlagen zusammenhängenden Fragen eine erhebliche Rolle. Diese haben in den letzten Jahren im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren Rechtsprechung und Literatur intensiv bewegt (vgl. dazu Cierniak zfs 2012, 664 ff.; Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2 ff., Burhoff VRR 2011, 250, VA 2012, 50, VRR 2012, 130). Dabei geht es allerdings weitgehend nicht um die allgemeinen Fragen der Akteneinsicht, sondern um das Problem, ob und wenn ja, wie dem Verteidiger im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren Einsicht in Messunterlagen zu gewähren ist. Inzwischen ist die Diskussion aber abgeflacht. Deshalb soll hier...