Das Bundesjustizministerium hat im Juni einen Gesetzentwurf zur Einführung von Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs vorgelegt. Damit will es dem Problem beikommen, dass in Massenverfahren meist viel Zeit vergeht, bis bestimmte Rechtsfragen alle Instanzen durchlaufen haben und die unteren Instanzen dann recht spät – nach einem klärenden Spruch aus Karlsruhe – eindeutige Vorgaben bekommen.
Das Vorhaben wurde vom Bundesjustizminister bereits im März auf dem Richter- und Staatsanwaltstag in Weimar angekündigt. Dort sprach Marco Buschmann als einer der Redner den Umstand an, dass Massenverfahren wie etwa der Dieselskandal die Zivilgerichtsbarkeit stark belasten. Zwar hätten die Gerichte selbst schon viel getan, um hier Entlastung zu schaffen, etwa durch Bildung von Spezialspruchkörpern, Vernetzung und den verstärkten Einsatz von IT. Es bleibe aber das Problem, dass Grundsatzentscheidungen des BGH oft erst nach Jahren kämen. Verschärft würde dieses Problem noch dadurch, dass viele Parteien sich auf einen Vergleich einigten und damit oft eine klärende höchstrichterliche Entscheidung noch weiter hinauszögerten. Sein Ministerium habe hier mit den Ländern im Wege einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe verschiedene Lösungsansätze diskutiert und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Leitentscheidungsverfahren vor dem BGH der beste Weg wäre.
Nach dem aktuellen Entwurf soll das Verfahren zum Einsatz kommen, wenn massenhafte Einzelklagen gleichgelagerter Ansprüche bei Gerichten anhängig sind. In solchen Fällen würden sich meist die gleichen entscheidungserheblichen Rechtsfragen stellen. Der BGH könnte sich daraus ein geeignetes Verfahren herauspicken, das ein möglichst breites Spektrum an offenen Rechtsfragen bietet. Er könnte anschließend selbst dann noch über die von ihm ausgesuchten Rechtsfragen entscheiden, wenn die Parteien die Revision zurückgenommen haben.
Eine derartige Leitentscheidung des BGH solle aber keine formale Bindungswirkung beanspruchen können, sondern nur als Richtschnur für die Fachgerichte dienen. Diese könnten die Rechtsmeinung aus Karlsruhe für ihre eigene Urteilsfindung heranziehen und dürften auch die bei ihnen anhängigen Verfahren aussetzen, bis der BGH die entsprechende Leitentscheidung getroffen hat.
Mit dem Leitentscheidungsverfahren hat sich das Justizministerium zugleich gegen das – auch viel diskutierte – Vorabentscheidungsverfahren ausgesprochen. Dieses war u.a. von der Justizministerkonferenz im vergangenen Jahr vorgeschlagen worden (vgl. ZAP 2022, 653). Es habe aber, so Marco Buschmann, zu viele offene Fragen aufgeworfen.
Das Leitentscheidungsverfahren will der Minister insgesamt nur als einen Baustein zur Entlastung der Zivilgerichtsbarkeit bei Massenklagen verstanden wissen. Weitere wichtige Projekte seien etwa die Einführung der Videoverhandlungen und die Abhilfeklage (vgl. zu letzterer auch ZAP 2023, 211).
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