Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur weiteren Digitalisierung der Justiz (vgl. BT-Drucks 20/10943) war Mitte Mai Gegenstand einer Sachverständigenanhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages. Mit dem Vorhaben soll die bereits begonnene Digitalisierung in der Justiz in allen Verfahrensordnungen weiter gefördert werden. Hierzu sind Rechtsanpassungen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung vorgesehen. Des Weiteren sollen im Strafverfahrensrecht u.a. Erleichterungen bei der Strafantragsstellung geschaffen werden; nicht zuletzt soll den Verfahrensbeteiligten die Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung im Wege einer Videokonferenz ermöglicht werden.
Die eingeladenen Sachverständigen würdigten insgesamt die Bemühungen der Bundesregierung, den Justizbereich weiter zu modernisieren, vertraten jedoch zu einzelnen Aspekten des Vorhabens unterschiedliche Meinungen. Eine Richterin vom BGH in Karlsruhe war der Auffassung, dass der Gesetzentwurf zu begrüßen sei, soweit er darauf ziele, drohende Medienbrüche zu vermeiden und den elektronischen Schriftverkehr weiter auszubauen. Dies gelte ebenfalls für die vorgesehene Erleichterung der Aufnahme von Strafanträgen. Erhebliche Bedenken erhob sie allerdings gegen die geplante Änderung der StPO, soweit regelhaft eine digitale Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung ermöglicht werden soll. Als „Herzstück” des Strafverfahrens sollte dieses ihrer Auffassung nach weiterhin regelhaft in Präsenz und nur ausnahmsweise digital stattfinden.
Ähnlich sah es eine Richterin vom OLG Celle, die auch für den Deutschen Richterbund sprach. Auch sie war der Auffassung, dass gegen den Gesetzentwurf keine durchgreifenden Bedenken bestehen. Hinsichtlich der vorgesehenen Änderungen in der StPO erwartet sie ebenfalls für die Angeklagten „keinen wirklichen Mehrwert”; im Gegenteil drohe die Revisionshauptverhandlung geschwächt zu werden. Bedenken hatte sie hingegen bezüglich der Regelung, dass ein Strafantrag künftig elektronisch gestellt werden können soll. Insgesamt, so ihre Bewertung des Vorhabens, werde der Erfolg der Digitalisierung der Justiz vor allem von einer angemessenen Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften abhängen.
Ausdrücklich befürwortet wurde die Möglichkeit, Strafanträge künftig digital einzureichen, von der Vertreterin des Deutschen Juristinnenbundes. Diese verwies auf die im Entwurf enthaltenen gleichstellungsorientierten Aspekte, die für eine zeitgemäße Justiz nicht nur notwendig, sondern für einen niedrigschwelligen und gleichberechtigten Zugang zur Strafverfolgung unabdingbar seien. Allerdings seien weitere Maßnahmen in Bezug auf eine elektronische Anzeigeerstattung erforderlich. Ihr Verband schließe sich den Forderungen nach einer bundeseinheitlichen Möglichkeit der elektronischen Anzeigeerstattung an, die es in einigen Bundesländern für strafrechtlich relevante Äußerungsdelikte im Internet bereits gebe.
Die Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins war der Auffassung, der Gesetzentwurf enthalte nur punktuelle Regelungen, aber nicht den „großen Wurf”. In der Justiz gebe es eine sehr heterogene Landschaft, und es müssten Zweifel angemeldet werden, ob es in den Ländern eine flächendeckende Umsetzung der E-Akte in dem geplanten Zeitrahmen geben könne. Sie glaube jedoch, dass man mit der Möglichkeit einer vorübergehend hybriden Aktenführung die Menschen in den Gerichten „mehr mitnehmen” könne. Allerdings bleibe man da auch nur bei der E-Akte stehen. Die große Zielsetzung müsse die Schaffung eines gemeinsamen virtuellen Arbeitsraums zwischen Gerichten, Anwälten und vielleicht auch den übrigen Beteiligten sein.
[Quelle: Bundestag]