Zusammenfassung
Kommt es vermehrt zu Straftaten bestimmter Bevölkerungsgruppen oder häufen sich anlassbezogene Delikte, z.B. bei sog. Klimaprotesten oder Fußballspielen, wird in Politik und Medien regelmäßig die Forderung erhoben, dass die Strafe auf dem Fuße folgen müsse. Dies wird vom Gesetzgeber, aber auch von den Justizverwaltungen immer wieder gerne mithilfe des Strafbefehlsverfahrens und des beschleunigten Verfahrens aufgegriffen. Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über die mit den beiden Verfahrensarten verbundenen Risiken.
I. Einführung
Um mehr beschleunigte Verfahren durchführen zu können, wurden zuletzt etwa in Baden-Württemberg an mehreren größeren Amtsgerichten Modellprojekte eingerichtet und in Niedersachsen wurden zum selben Zweck zusätzliche Stellen geschaffen. Wenngleich der erhoffte Erfolg bislang ausgeblieben ist – im Jahr 2022 machte das beschleunigte Verfahren gerade einmal 1,33 % der an den Amtsgerichten erledigten Strafverfahren aus (Platz, AnwBl. 2023, 646) – muss doch davon ausgegangen werden, dass trotz weit verbreiteter Ablehnung nicht nur in Anwalts-, sondern auch in Staatsanwalts- und Richterkreisen (MAH Strafverteidigung/Nobis, § 10 Rn 189) weiterhin versucht werden wird, den Anteil beschleunigter Verfahren zu erhöhen. Demgegenüber ist das Strafbefehlsverfahren bereits jetzt von hoher Praxisrelevanz.
Für den Angeklagten können diese Verfahrensarten durchaus Vorteile mit sich bringen: Die möglichen Sanktionen sind dank der von § 407 Abs. 2 StPO bzw. § 419 Abs. 1 StPO gesetzten Grenzen gegenüber dem Normalverfahren überschaubar, und die Ermittlungen werden nicht selten recht oberflächlich geführt, sodass manches im Verborgenen bleibt. Zudem kann die Sache mit dem Erlass eines Strafbefehls kostensparend sowie vor allem „geräuschlos” erledigt werden. Für den Verteidiger kann es sich daher im Einzelfall, wenn Einstellung oder Freispruch nicht realistisch erscheinen, durchaus empfehlen, bereits gegenüber der Staatsanwaltschaft eine Erledigung im Strafbefehlswege anzuregen. Da diese Vorgehensweise letztlich auf eine Bestrafung des Mandanten abzielt, sollte allerdings vorab dessen ausdrückliche Zustimmung eingeholt werden, am besten schriftlich (Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., Rn 4224 ff.).
Hinweis:
Da die Reaktion der Staatsanwaltschaft auf eine solche Anregung nicht abgesehen werden kann, sollten Formulierungen, mit denen die Schuld des Mandanten eingeräumt wird, nach Möglichkeit vermieden werden, es sei denn, es ist nach Aktenlage offensichtlich, dass sich ein Schuldspruch nicht vermeiden lassen wird. In diesem Fall wird es dem Interesse des Angeklagten eher entsprechen, den Strafmilderungsgrund eines frühzeitigen Geständnisses in den Vordergrund zu rücken. Dies wirkt sich nicht nur bei der Strafzumessung vorteilhaft aus, sondern ist grds. auch geeignet, die Staatsanwaltschaft dazu zu bewegen, von einer Anklageerhebung abzusehen und das Verfahren stattdessen ohne Hauptverhandlung zu erledigen.
Allerdings stehen diesen Vorteilen auch einige Nachteile gegenüber, die die Verteidigung im Einzelfall erheblich erschweren können. So ist in beschleunigten Verfahren schon mancher Amtsrichter bei dem Versuch, auf die Tat mit der vielzitierten „vollen Härte des Gesetzes” zu reagieren, bei der Strafzumessung über das Ziel hinausgeschossen, was dann zur Folge hat, dass der Angeklagte ein sich über Monate hinziehendes Rechtsmittelverfahren mit ungewissem Ausgang führen muss. Zudem bringen die über § 420 StPO möglichen Einschränkungen der Beweisaufnahme die Gefahr mit sich, dass Einwendungen gegen den Tatvorwurf nicht hinreichend berücksichtigt werden oder gar nicht erst effektiv vorgebracht werden können.
II. Spezielle Risiken des Strafbefehlsverfahrens
1. Kein Verschlechterungsverbot nach Einspruch
Der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls stellt in der Praxis nicht selten eine Art „Friedensangebot” der Staatsanwaltschaft dar, dessen Annahme im beiderseitigen Interesse liegen kann: Das Verfahren findet rasch Eingang in die Erledigungsstatistik, während der Angeklagte glimpflich davonkommt. Die Erfolgsaussichten eines etwaigen Einspruchs müssen daher sehr sorgfältig geprüft werden. Unterläuft dem Verteidiger hier ein Fehler, etwa indem er übersieht, dass eine nach § 40 Abs. 3 StGB erfolgte Schätzung der Einkünfte des Mandanten zu einer überaus günstigen Tagessatzhöhe geführt hat, kann er sich regresspflichtig machen (Freyschmidt/Krumm, Verteidigung im Verkehrsstrafrecht, 12. Aufl., Rn 830).
Hinweis:
Bislang kann der Einspruch schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden (§ 410 Abs. 2 StPO). Allerdings sieht der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines „Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz” (hierzu ausführlich Burhoff, StRR 4/2024, 10) eine Änderung des § 32d StPO dahingehend vor, dass der Einspruch gegen den Strafbefehl und dessen Rücknahme künftig elektronisch übermittelt werden müssen.
Die Gefahr, dass ein Einspruch „nach hinten losgeht”, resultiert insb. daraus, dass im Strafbefehlsverfahren das Verschlechterungsverbot nicht...