Anfang Juni 2022 fand im bayerischen Hohenschwangau die diesjährige Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und -minister der Bundesländer statt. Die Ressortchefs hatten diesmal v.a. die Fortschreibung des Pakts für den Rechtsstaat und die Beschleunigung der Digitalisierung in der Justiz im Blick. Zudem forderten sie eine Entlastung der Gerichte in Bezug auf Massenverfahren sowie die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Auch das Strafrecht bildete einen Schwerpunkt der Konferenz. Die aus anwaltlicher Sicht relevantesten Beschlüsse sind nachfolgend kurz skizziert.
I. Verfahrens- und Prozessrecht
- Planungs- und Genehmigungsvorhaben
Insbesondere mit Blick auf die kriegsbedingten Sanktionen gegen Russland und die daraus folgende Notwendigkeit, die Energieversorgung Deutschlands aus neuen Quellen sicherzustellen, forderten die Justizminister, die verwaltungsgerichtlichen Verfahren "weiter zu optimieren". Deutschland müsse seine Handlungsfähigkeit undâEUR™Versorgungssicherheit bewahren; dies könne aber nur gelingen, wenn auch die Planungs- und Genehmigungsverfahren für große Infrastrukturvorhaben beschleunigt würden. Die Ressortchefs begrüßten deshalb die Ankündigung des Bundesjustizministers, kurzfristig Vorschläge zur Beschleunigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorzulegen.
- Massenklagen und Sammelverfahren
Die Minister beklagten bei diesem Frühjahrstreffen zum wiederholten Mal, dass die Zivilgerichte derzeit mit Massenverfahren stark belastet seien. Besondere Herausforderungen ergäben sich auch bei Klagen, in denen eine Vielzahl von Einzelverfahren gebündelt seien. Damit diese Verfahren in angemessener Zeit bewältigt werden könnten, seien umfangreiche organisatorische, technische und personelle Maßnahmen nötig. Hierzu gebe es inzwischen Vorschläge zur Optimierung von Arbeitsabläufen, zum Wissenstransfer, zur gerichtsinternen und -übergreifenden Zuständigkeitskonzentration und zur Nutzung der vorhandenen digitalen Möglichkeiten. Allerdings seien zudem noch Anpassungen des materiellen Zivilrechts, des Zivilprozessrechts, des Berufs- bzw. Rechtsdienstleistungsrechts sowie des Gebühren- und Kostenrechts erforderlich. Hier gebe es umfassenden und dringenden Handlungsbedarf, denn die derzeitige Rechtslage führe zu einem "unnötigen Verschleiß wertvoller Justizressourcen". Die Gerichte benötigten deshalb die rechtlichen Werkzeuge, um Massenklagen in angemessener Zeit bearbeiten zu können. Lösungsansätze sehen die Justizminister u.a. in der Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens, in der Konzentration von Beweisaufnahmen und in richterlichen Strukturvorgaben für den Parteivortrag. Zudem werde auch zu prüfen sein, so die Minister, ob die Anwaltsgebühren angepasst werden müssen, wenn ein Prozessbevollmächtigter in einer Vielzahl von gleichgelagerten Verfahren tätig werde.
- Ausbau des Zentralen Vorsorgeregisters
Die Minister stellten zunächst fest, dass mit der Registrierung von Vorsorgedokumenten beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer sichergestellt wird, dass Gerichte und – ab 1.1.2023 – auch Ärzte rasch in Erfahrung bringen können, ob ein Vorsorgedokument existiert und wo es sich befindet. Sie bedauerten allerdings, dass das Register nicht die Möglichkeit bietet, sich direkt über den Inhalt der Vorsorgedokumente zu unterrichten. Dieses Manko wollen sie dadurch beheben, dass es den Verfassern der Dokumente ermöglicht wird, jeweils eine Kopie ihrer Vorsorgedokumente – Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung oder Patientenverfügung – ebenfalls im Register zu hinterlegen. Darauf aufbauend solle in einem zweiten Schritt auch geprüft werden, ob und in welchem Umfang der Inhalt des Zentralen Vorsorgeregisters einen Rechtsschein erzeugen soll, auf den sich der Rechtsverkehr verlassen könne. Der Bundesjustizminister wurde gebeten, gemeinsam mit der Bundesnotarkammer eine Umsetzung dieser Vorschläge zu prüfen.
II. Zivilrecht
- Neue "Schriftsatzform" im BGB
Die Ressortchefs sind der Meinung, dass es aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung und der zunehmend größer werdenden Bedeutung des elektronischen Rechtsverkehrs erforderlich ist, eine Regelung zu schaffen, die gewährleistet, dass materiell-rechtliche Schriftformerfordernisse auch durch die Zustellung elektronisch eingereichter prozessualer Schriftsätze eingehalten werden. Zahlreiche Formvorschriften des materiellen Rechts schlössen die schriftformersetzende elektronische Form ausdrücklich aus, bemängelten die Minister. Die Zeitgemäßheit dieser Formvorgaben sei mittlerweile aber "überprüfungswürdig". Sie wollen deshalb untersuchen lassen, bei welchen zwingenden Schriftformerfordernissen des materiellen Rechts sich die jeweilige Funktion auch durch die elektronische Form hinreichend gewährleisten lässt.
- Pflichtversicherung für Elementarschäden
Vor dem Hintergrund der letztjährigen Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hatten die Länder eine intensive verfassungsrechtliche Prüfung zur Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden initiiert. In...