Die Neue Richtervereinigung (NRV) warnt vor einer Politisierung von Strafverfahren. Jeder Anschein einer unzulässigen Einflussnahme der Exekutive auf gerichtliche Verfahren zerrütte das Vertrauen in den Rechtsstaat, erläuterte die Vereinigung in einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme. Die Garantie einer unbeeinflussten, unabhängigen Justiz erlange besonderes Gewicht, wenn im politischen Meinungskampf möglicherweise strafrechtlich relevantes Verhalten zu überprüfen sei. Der Wert des Rechtsstaats zeige sich besonders dann, wenn von Teilen der Gesellschaft und Politik möglichst harte, aber auch möglichst schnelle Bestrafungen gefordert würden – so zuletzt wiederholt anlässlich von Demonstrationen und Blockadeaktionen der „Letzten Generation” und „Extinction Rebellion”.
Konkreter Anlass der Mahnung seitens der Richter ist eine Änderung der Geschäftsverteilung im Amtsgericht Berlin-Tiergarten aufgrund eines erwarteten Anstiegs beschleunigter Verfahren. Hier müsse der Anschein einer Sondergerichtsbarkeit entgegen Art. 101 Abs. 1 GG unbedingt vermieden werden, fordert die NRV. Auffällig sei, dass die Geschäftsverteilung zwischen beschleunigten Verfahren der Amtsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft unterscheide, wobei letztere bisher keine beschleunigten Verfahren beantragt hätten. Eine Differenzierung nach der antragsstellenden Behörde scheine nicht auf einen sachlichen Differenzierungsgrund zurückzuführen zu sein. Ob damit faktisch eine „lex Klimakleber” geschaffen werde und die hierfür nach dem abgeänderten Geschäftsverteilungsplan zuständigen Richterinnen und Richter letzten Endes ausschließlich Fälle sog. Klimakleber aburteilen werden, bleibe genau zu beobachten.
Ob die Voraussetzungen des beschleunigten Verfahrens – einfacher Sachverhalt oder klare Beweislage – in Fällen der Klimablockaden vorliegen, dürfte sich angesichts der jüngeren Rechtsprechung zu rechtlichen Fragen der Nötigung nach § 240 StGB in Fällen von Klimablockaden jeder schematischen Betrachtung entziehen und in jedem Fall einzeln zu prüfen sein, führt die NRV weiter aus. Halte man die „Letzte Generation” für eine kriminelle Vereinigung i.S.d. § 129 StGB, sei ein beschleunigtes Verfahren auf jeden Fall unangebracht. Denn wer Angeklagte oder Angeklagter in einem beschleunigten Verfahren – mit einer höchstmöglichen Strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe – sei, der könne kaum zugleich „erhebliche Straftaten” i.S.d. Strafvorschrift begehen, argumentieren die Richter.
Simon Pschorr, Sprecher der Fachgruppe Strafrecht der NRV, betonte: „Der Justiz ist es überwiegend gelungen, sich trotz der Präsenz und Aufregung aufgrund der Klimademonstrierenden auf ihre Stärken zu besinnen und Verfahren wegen Blockadeaktionen gründlich, sachlich und unaufgeregt zu bearbeiten. Es obliegt nun den Justizinstitutionen, der Staatsanwaltschaft und dem Amtsgericht, zu zeigen, dass es keine Sonderbehandlung von Klimademonstrierenden gibt und die strafprozessualen und verfassungsrechtlichen Erfordernisse eingehalten werden.”
[Quelle: NRV]