Ein gutes Anschauungsobjekt dafür, dass auch die Vollstreckungstätigkeit in Zivilsachen der Kontrolle des BVerfG unterliegt (vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG sowie Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG), stellt der (Grundsatz-)Beschluss vom 3.10.1979 dar (BVerfGE 52, 214 ff.; vgl. dazu m.w.N. Paulus, Zivilprozessrecht, 3. Aufl., 251 f.; N. Fischer, Vollstreckungszugriff als Grundrechtseingriff, 2006, 115 ff. m.w.N.).
a) Sachverhalt der Senatsentscheidung
Mit dieser Entscheidung hat der Erste Senat des BVerfG das Verfahren nach § 765a ZPO bei einer drohenden Räumungsvollstreckung nach § 885 ZPO beanstandet und mit seinen Ausführungen die grundsätzliche Linie der verfassungsgerichtlichen Judikatur bis zum heutigen Tage festgelegt. Da es gemäß BVerfG dafür auf die besonderen (tatsächlichen) Umstände des Einzelfalls ankommt, seien diese hier zumindest skizziert:
Nachdem einem 60-jährigen Mieter nach achtmonatiger Mietdauer wegen vertragswidriger Hundehaltung, Belästigungen und Mietrückständen gekündigt worden war, wurde er nach einer Prozessdauer von zweieinhalb Jahren zur Räumung der Wohnung binnen dreier Monate verurteilt. Da bereits das Prozessgericht eine Räumungsfrist nach § 721 ZPO gewährt hatte, stellte das Vollstreckungsgericht gem. § 765a ZPO die Räumungsvollstreckung befristet ein und wies den (weitergehenden) Antrag des Schuldners auf Untersagung der Räumungsvollstreckung zurück. Dies wurde damit begründet, dass der Vollstreckungsgläubiger zwar ein schutzwürdiges Interesse an der Vollstreckung des titulierten Anspruchs auf Räumung habe, jedoch die höherrangigen Belange des Vollstreckungsschuldners eine (auf vier Monate) begrenzte Untersagung der Vollstreckung rechtfertigten. Die dagegen gerichtete (sofortige) Beschwerde wies das LG zurück, obwohl der Schuldner ärztliche Atteste vorgelegt hatte, nach denen er körperlich (aufgrund eines schweren Herzschadens) und psychisch (wegen einer progressiven Depression) sehr krank sei. Insbesondere wurde geltend gemacht, dass nach drei ernsthaften Selbsttötungsversuchen die Gefahr bestehe, dass er bei einer Räumungsvollstreckung erhebliche gesundheitliche (insb. seelische) Schäden erleide, die zu akuter Lebensgefahr führen könnten. Zwar räumte das Landgericht ein, dass die Räumung zu einem erheblichen Angriff auf den (seelischen) Gesundheitszustand des Vollstreckungsschuldners und damit zu einer erheblichen „Härte” führe. Jedoch sei ihm diese zumutbar (und insoweit nicht „sittenwidrig”), zumal jede Vollstreckung zu solchen Härten führen könnten. Entscheidungsrelevant sei auch, dass bereits das Vollstreckungsgericht die Räumung befristet eingestellt habe und eine erneute Gewährung einer Einstellungsfrist oder die Untersagung der Räumungsvollstreckung mit einem „Stillstand der Rechtspflege” gleichzusetzen sei, da der Vollstreckungstitel damit praktisch „entwertet” werden würde. Außerdem hielt es das Landgericht für unbillig, die rechtskräftig festgestellte Räumungspflicht allein durch die Vorlage ärztlicher Atteste hinauszuschieben, da das nicht im Interesse einer „geordneten Rechtspflege” sei. Beide Instanzgerichte hatten den (angetretenen) Beweis über den körperlichen und seelischen Zustand des Vollstreckungsschuldners auch erhoben.
b) Begründung der Senatsentscheidung
Der Erste Senat des BVerfG sieht durch die angegriffenen Entscheidungen die Grundrechte des Vollstreckungsschuldners aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) als verletzt an. Gemäß dem BVerfG haben die Fachgerichte das Verfassungsrecht und die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte zu beachten (vgl. dazu hier nur die „Lüth”-Entscheidung des BVerfG: BVerfGE 7, 198 ff.). Dazu führt der Senat aus, dass die „verfassungsrechtliche Gewährleistung der Grundrechte und die aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Verfassungsprinzipien auch im jeweiligen Verfahrensrecht” gelten, und zwar „insb. im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens” – dies gelte v.a. auch für den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE 52, 214 ff., 219). Demgemäß sei i.R.d. Prüfung des § 765a Abs. 1 ZPO eine umfassende Würdigung notwendig, die „in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen” könne, „dass zur Vermeidung unzulässiger Grundrechtsbeeinträchtigungen eines Schuldners die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen Titel für einen längeren Zeitraum einzustellen” sei. Dies gelte „jedenfalls dann, wenn ein schwerwiegender Eingriff” in das Grundrecht des Vollstreckungsschuldners gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG „zu besorgen” sei (so BVerfGE 52, 214 ff., 220, unter Verweisung auf BVerfGE 44, 353 ff., 373). Daher sei es Aufgabe der Fachgerichte, in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, „damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen tunlichst ausgeschlossen werden” (BVerfG, a.a.O.). Daraus ergebe sich weiterhin deren Verpflichtung, „Beweisangeboten des Schuldners hinsichtlich seines Vorbringens, ihm drohten schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigungen, besonders sorgfältig” nachzugehen. In e...