1. Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit
a) Sachliche Zuständigkeit
§ 51 bestimmt, für welche öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit offensteht. Abs. 1 der Norm bestimmt die Zuständigkeit für enumerativ angegebene Angelegenheiten. Hierzu gehören v.a. die gesetzliche Renten-, Kranken- und Unfallversicherung, die soziale und private Pflegeversicherung (s. hierzu näher M-L/K/L/S/Keller, SGG, § 51 Rn 25 ff.), die Arbeitsförderung, die Grundsicherung für Arbeitsuchende, Angelegenheiten der Sozialhilfe nebst Eingliederungshilfe nach Teil 2 des SGB IX und des AsybLG, sowie das Schwerbehindertenrecht.
Hinweise:
- Insbesondere folgende Rechtsgebiete, obwohl sie materielles Sozialrecht regeln, unterfallen nicht der Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit, sondern derjenigen der Verwaltungsgerichtsbarkeit: Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII, Ausbildungsförderung nach dem BAföG und Wohngeld nach dem WoGG.
- Nach § 51 Abs. 1 Nr. 10 sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auch zuständig, für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird, so z.B. für Leistungen nach dem BKGG (s. § 15 BKGG) oder § 81b Abs. 1 SGB X für den Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO (so jüngst BSG, Urt. v. 6.3.2023 – B 1 SF 1/22 R, ASR 2023, 134). Mangels gesetzlicher Sonderzuweisung besteht keine Zuständigkeit der Sozialgerichte für Streitigkeiten um die Vergütung von Corona-Bürgertests (BSG, Beschl. v. 19.6.2023 – B 6 SF 1/23 R).
§ 51 Abs. 2 lässt von dem Grundsatz der Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten und deren Zuordnung zum öffentlichen Recht die dort genannten Ausnahmen für privatrechtliche Streitigkeiten zu.
Als Rückausnahme von den in Abs. 1 und Abs. 2 geregelten Zuständigkeiten sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit für die in § 51 Abs. 3 erwähnten Streitigkeiten nicht zuständig.
b) Örtliche Zuständigkeit
Die örtliche Zuständigkeit des SG richtet sich nach § 57. Nach Abs. 1 S. 1 Hs. 1 der Vorschrift ist das SG örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz/Aufenthaltsort hat. Steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen SG klagen. Im Unterschied zu anderen Verfahrensordnungen wird der Sozialgerichtsprozess grds. dort geführt, wo der Kläger wohnt oder arbeitet, regelmäßig nicht zu klagen ist dort, wo der Beklagte residiert. Entsprechend dieses Grundsatzes regelt § 57 Abs. 1 S. 2, dass bei der Klage einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts, in Angelegenheiten nach dem SGB XI eines Unternehmens der privaten Pflegeversicherung oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts oder Schwerbehindertenrechts eines Landes, auf den Wohnsitz/Aufenthaltsort des Beklagten für die Zuständigkeit abzustellen ist, wenn dieser eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts ist.
Nach § 57 Abs. 3 SGG ist allerdings dann für die örtliche Zuständigkeit auf den Sitz/Wohnsitz oder auf den Aufenthaltsort des Beklagten abzustellen, wenn der Kläger seinen Sitz/Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Ausland hat.
2. Vorverfahren
Vor Erhebung der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4)
nicht aber bei einer reinen Leistungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 5, 55), die nicht der Überprüfung eines VA dienen (zu den Klagearten vgl. näher III.)
sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen (§ 78 Abs. 1 S. 1). Lediglich in den in S. 2 der Vorschrift angegebenen Konstellationen bedarf es eines solchen Verfahrens nicht. Für die Verpflichtungsklage gilt § 78 Abs. 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist. Das Fehlen des Vorverfahrens als von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung führt zur Unzulässigkeit der Klage. Gemäß § 114 Abs. 2 analog haben die Gerichte das Verfahren auszusetzen, um den Klägern die Möglichkeit einzuräumen, das Vorverfahren nachzuholen.
Zulässig ist eine Klage nur dann, wenn der Widerspruch zumindest teilweise erfolglos geblieben ist. In diesem Fall ist Widerspruchsbescheid zu erlassen (§ 85 Abs. 2–4). Ist der Widerspruch begründet, ist ihm gem. § 85 Abs. 1 abzuhelfen. Der erfolgreiche Widerspruch verpflichtet den Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen VA erlassen hat, den Widerspruchsführern die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten (§ 63 Abs. 1 S. 1 SGB X).
Wird während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt (VA) abgeändert, so wird auch der neue VA Gegenstand des Vorverfahrens (§ 86). Berücksichtigt die Widerspruchsbehörde den neuen Verwaltungsakt nicht, ist der Widerspruchsbescheid wegen fehlenden Vorverfahrens fehlerhaft. Hs. 2 der Vorschrift des § 86 verpflichtet die Behörde, die den neuen VA erlässt, ihn der Widerspruchsstelle unverzüglich mitzuteilen.
Hinweis:
Auch nach Klageerhebung ist die Beklagte nicht gehindert, in derse...