Der oben dargelegte Grundsatz, wonach der Geschädigte auf den geringeren Wiederbeschaffungsaufwand verwiesen werden kann, erfährt zum Schutz des Geschädigten aber eine Vielzahl an Ausnahmen, wenn ein sog. besonderes Integritätsinteresse vorliegt. Welche Anforderungen hierfür erfüllt sein müssen, ergibt sich aus dem vom BGH entwickelten Vier-Stufen-Modell. Die Einzelheiten hängen davon ab, welche "Abrechnungsstufe" einschlägig ist und ob der Geschädigte konkret oder fiktiv abrechnet.
Auf welcher Stufe die Prüfung vorzunehmen ist, ergibt sich aus einer Gegenüberstellung der Reparaturkosten einschließlich eines merkantilen Minderwerts einerseits und dem Wiederbeschaffungswert bzw. dem Wiederbeschaffungsaufwand andererseits. Ausgangspunkt für eine Gegenüberstellung der beiden entscheidenden Abrechnungsgrößen sind die jeweiligen Bruttowerte – es sei denn, es besteht eine Vorsteuerabzugsberechtigung beim Geschädigten (BGH, Urt. v. 3.3.2009 – VI ZR 100/08, zfs 2009, 439).
a) Erste Stufe: unter dem "100 %-Fall"
Liegen die Reparaturkosten unterhalb des Wiederbeschaffungsaufwands (= Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert), so sind nur die Reparaturkosten zu ersetzen (BGH, Urt. v. 15.10.1991 – VI ZR 67/91, SP 1992, 12).
b) Zweite Stufe: "100 %-Fall"
Sind die Reparaturkosten dagegen größer als der Wiederbeschaffungsaufwand, aber noch kleiner als der Wiederbeschaffungswert, werden die Reparaturkosten nur ausnahmsweise erstattet, wobei zwischen der konkreten und der fiktiven Abrechnung zu unterscheiden ist.
aa) Konkrete Abrechnung
Innerhalb der beiden Ausnahmen von diesem Grundsatz gilt bei einer vollständigen Beseitigung aller Schäden Folgendes: Repariert der Geschädigte das Fahrzeug vollständig und rechnet konkret ab, erhält er die Reparaturkosten erstattet, ohne dass er das Fahrzeug weiter nutzen muss (BGH, Urt. v. 23.11.2010 – VI ZR 35/10, zfs 2011, 264). Dabei kommt es nicht auf die Qualität der durchgeführten Reparatur an, solange die Reparaturkosten nicht den Wiederbeschaffungswert übersteigen (BGH, Urt. v. 29.4.2003 – VI ZR 393/02, NJW 2003, 208).
bb) Fiktive Abrechnung
Erfolgt dagegen eine fiktive Abrechnung, genügt es, dass der Geschädigte das Fahrzeug weiter nutzt, sei es auch in beschädigtem, aber noch verkehrstauglichem Zustand. Die Weiternutzung muss i.d.R. über einen Zeitraum von sechs Monaten erfolgen (BGH, Urt. v. 23.5.2006 – VI ZR 192/05, zfs 2006, 625), wobei es sich nach h.M. um keine Fälligkeitsvoraussetzung handelt.
c) Dritte Stufe: "130 %-Fall"
Liegen die Reparaturkosten oberhalb des Wiederbeschaffungswerts, aber noch bis zur Grenze von 130 %, bleibt es bei dem Grundsatz, dass erst einmal nur eine Erstattung des geringeren Wiederbeschaffungsaufwands erfolgt (BGH, Urt. v. 15.2.2005 – VI ZR 70/04, zfs 2005, 382). Die vollen Reparaturkosten können nur unter Beachtung der nachfolgenden Grundsätze ausnahmsweise ersetzt werden.
aa) Vollständige und fachgerechte Reparatur
Um die vollen Reparaturkosten erstattet zu erhalten, die maximal bis zu 30 % oberhalb des Wiederbeschaffungswerts liegen dürfen, muss die Reparatur auf Grundlage des Gutachtens vollständig und fachgerecht erfolgt sein (BGH, Urt. v. 15.2.2005 – VI ZR 70/04, zfs 2005, 382).
Hinweis:
Dies gilt auch bei dem Sattelauflieger eines gewerblich genutzten Lkw (OLG Celle, Beschl. v. 2.12.2009 – 14 U 123/09, NZV 2010, 249). Dies erfordert eine konkrete Abrechnung durch Vorlage der Reparaturrechnung oder den Nachweis, dass vollständig und fachgerecht repariert wurde (BGH, Urt. v. 8.12.2009 – VI ZR 119/09, zfs 2010, 202). Im Einzelfall kann eine fachgerechte Reparatur hierbei auch durch Einbau von Gebrauchtteilen möglich sein (BGH, Urt. v. 14.12.2010 – VI ZR 231/09, zfs 2011, 144).
bb) Weitere Nutzung über sechs Monate
Zusätzlich muss das Fahrzeug i.d.R. noch über einen Zeitraum von sechs Monaten genutzt werden. Dabei handelt es sich um keine Fälligkeitsvoraussetzung (BGH, Beschl. v. 26.5.2009 – VI ZB 71/08, r + s 2009, 434), sondern die Geldleistung wird bereits mit Durchführung der Reparatur fällig (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.1.2009 – I-1 W 41/08, MDR 2009, 562). Es besteht aber ein Rückforderungsanspruch des Versicherers des Unfallgegners in Höhe der Differenz zum Wiederbeschaffungsaufwand bei einer nicht erzwungenen Aufgabe des Kfz vor Ablauf der sechs Monate, wenn die Zahlung unter Rückforderungsvorbehalt erfolgt ist (BGH, Beschl. v. 18.11.2008 – VI ZB 22/08, zfs 2009, 79).
d) Vierte Stufe: Oberhalb der "130 %-Grenze"
Oberhalb der Grenze von 30 % über dem Wiederbeschaffungswert erfolgt grundsätzlich keine Erstattung der Reparaturkosten, da keine Aufspaltung in wirtschaftlichen tragbare Kosten und einen darüber hinausgehenden Aufwand erfolgen kann (BGH, Urt. v. 10.7.2007 – VI ZR 258/06, NJW 2007, 2917 = zfs 2007, 686).
Im Ausnahmefall kann jedoch ein Ersatz der auf einen Betrag unterhalb d...