a) Klägerfreundlichkeit
Gelegentlich stößt man auf die Feststellung, das SGG sei "klägerfreundlich". Gemeint ist wohl, das Gericht bevorzuge die Kläger schon deshalb, weil sie des Schutzes eines Gerichts bedürfen, das dem sozialen Gedanken besonders verpflichtet ist. Richtig ist, dass das SGG zahlreiche Vorschriften enthält, die dem Kläger Vergünstigungen verschaffen und in den Stand versetzen, besser seine Rechte wahrzunehmen.
aa) Örtliche Zuständigkeit
Eine dieser Normen ist § 57 Abs. 1 S. 1 SGG, wonach "örtlich zuständig das Sozialgericht ist, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz hat". Zweck der Norm ist, dem Kläger weite Wege zum Gericht zu ersparen. Insbesondere ältere oder/und behinderte Menschen sind auf Vergünstigungen dieser Art angewiesen.
bb) Fristwahrung bei Unzuständigkeit
§ 91 SGG regelt die Fristwahrung bei Unzuständigkeit: Die Frist für die Erhebung der Klage gilt auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde eingegangen ist. Der besondere Schutz für Kläger liegt darin, dass der Gesetzgeber von ihnen nicht verlangt, sich über die Grundfrage der örtlichen Zuständigkeit des anzurufenden Gerichts verbindlich zu informieren. Stattdessen können sie z.B. bei einer inländischen Kommunalbehörde die Klage erheben, die Klageschrift ist dann nach § 91 Abs. 2 SGG "unverzüglich an das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit abzugeben". Der besondere Schutz der Kläger geht hier sehr weit. Dass eine Behörde die dem zuständigen Gericht obliegende Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit an dessen Stelle vornehmen muss, ist mehr als systemfremd. Mit der ihr nach § 91 Abs. 2 SGG auferlegten Zuständigkeitsprüfung ist die unzuständige Behörde möglicherweise überfordert.
cc) Kostenfreies Verfahren
Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für den in § 183 SGG benannten Personenkreis kostenfrei. Sinn dieser Vorschrift ist es, ihn aus sozialen Gründen nicht mit Kosten eines Gerichtsverfahrens zu belasten. Normzweck ist auch, dass ein Kläger, der die Hilfe des Gerichts in Anspruch nehmen will, seine Entscheidung treffen kann, ohne ein finanzielles Risiko einzugehen.
b) Objektive Beweislast
Im sozialgerichtlichen Verfahren herrscht die Untersuchungsmaxime: Das Gericht erforscht von Amts wegen den Sachverhalt, die Beteiligten sind dabei heranzuziehen (§ 103 SGG). Man sollte annehmen, dass Beweislastfragen angesichts dieser Rechtslage keine Rolle spielen. Das ist nicht der Fall, vielmehr gilt Folgendes: In Angelegenheiten der Sozialgerichtsbarkeit gibt es keine (subjektive) Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast. Die Folgen der objektiven Beweislast – genauer: Feststellungslast – trägt allerdings die Partei, die aus der nicht erwiesenen Tatsache Rechte herleiten will. Kann das Gericht unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes trotz Ausschöpfen aller Ermittlungsmöglichkeiten bestimmte Tatsachen nicht feststellen, trägt z.B. ein Kläger bei Unerweislichkeit des anspruchsbegründenden Vorbringens die nachteiligen Folgen (st. Rspr. des BSG, vgl. BSGE 6, 70; 15, 114; 30, 281; 62, 103).
c) Ausgewählte Paragrafen des SGG mit Anmerkungen
Eine erfolgreiche Prozessführung setzt gewisse Grundkenntnisse des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) voraus. Die häufig zu beobachtende Fokussierung der anwaltlichen Tätigkeit auf das materielle Sozialrecht führt nicht selten zu einer Vernachlässigung der Beschäftigung mit dem Prozessrecht.
Es ist zu bedenken, dass die Normen des SGG kein Selbstzweck sind. Sie dienen vielmehr der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten.
Nachfolgend wird auf einige ausgewählte Vorschriften des SGG hingewiesen. Sie erscheinen charakteristisch für den Sozialgerichtsprozess. In einigen knappen Worten werden die jeweiligen Besonderheiten beschrieben.
§ 57 Abs. 1 SGG: Örtliche Zuständigkeit (s.o. 2. a. aa)
- Wohnsitz des Klägers,
- ersparen weiter Wege zum Gericht.
§ 75 Abs. 1, 2 SGG: (Einfache) Beiladung und notwendige Beiladung
- Beteiligung Dritter an einem Verfahren,
- Prozessökonomie, neue Klage möglicherweise entbehrlich,
- Vermeidung sich widersprechender Urteile.
§ 91 Abs. 1 SGG: Fristwahrung bei Unzuständigkeit (s.o. 2 a. bb)
- Die Frist zur Erhebung der Klage ist auch gewahrt, wenn Klageschrift bei anderer inländischer Behörde eingegangen ist.
- Beachte: Muss Kläger die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit des anzurufenden Sozialgerichts kennen?
§ 96 Abs. 1 SGG: Neuer Bescheid nach Klageerhebung
- Wird nach Klageerhebung der Verwaltungsakt durch einen neuen ersetzt, so wird auch der neue Gegenstand des Verfahrens.
Hinweis:
Soziale Leistungen werden üblicherweise durch Dauerverwaltungsakte gewährt. Anders als die Verwaltungsgerichtsordnung sieht § 96 Abs. 1 SGG aus verfahrensökonomischen Gründen eine Einbeziehung solcher Änderungsbescheide in bereits laufende Verfahren vor. Ein weiterer Widerspruch oder eine neue Klage wären unzulässig.