1. Die StVO-Novelle 2020
Durch die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.4.2020 (BGBl I, S. 814) wurde mit Wirkung zum 28.4.2020 eine Vielzahl an Vorschriften der StVO und anderen verkehrsrechtlichen Normen geändert oder neu eingefügt. Schwerpunkte waren Regelungen zur Stärkung des Radverkehrs sowie Maßnahmen betreffend Carsharing und elektrisch betriebene Fahrzeuge. Außerdem erfolgten Änderungen bei den Rechtsfolgen von Ordnungswidrigkeiten im Bereich der Geldbußen, des Fahrverbots und der Punkteregelung. Insbesondere hat der Verordnungsgeber die Rechtsfolgen bei Geschwindigkeitsüberschreitung massiv verschärft durch die Absenkung der Grenzwerte für die Anordnung eines Regelfahrverbots (näher Deutscher VRR 5/2020, 5; Heltzel DAR 2020, 242; Ternig NZV 2020, 329). Wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG ist die Novelle aber verfassungswidrig (näher auch zu Ungereimtheiten bei den Auswirkungen im Bereich des Fahrverbots Deutscher VRR 7/2020, 4) und wird in der Praxis bis zu einer Neuregelung nicht angewandt (zu den Folgen Fromm DAR 2020, 527; Krumm DAR 2020, 476). In der Praxis aufgekommene Überlegungen, die StVO befinde sich wegen früherer Zitierfehler sogar auf dem Stand vor dem 1.9.2009, greifen nicht durch (näher Deutscher VRR 10/2020; ebenso OLG Oldenburg, Beschl. v. 8.10.2020 – 2 Ss [OWi] 230/20, juris).
2. Trunkenheits- und Drogenfahrten (§ 24a StVG)
Wird bei einer Atemalkoholmessung mit dem Messgerät "Dräger Alcotest 7110" die Wartezeit zwischen Trinkende und erster Messung nicht eingehalten, liegt eine Messung im standardisierten Verfahren nicht vor, ohne dass damit eine Verwertbarkeit der Messung von vornherein ausscheidet (OLG Celle zfs 2020, 169 = NZV 2020, 434 [Balschun]; zur Medikamentenklausel des § 24a Abs. 2 S. 3 StVG Rebler NZV 2020, 393).
3. Das bußgeldrechtliche Fahrverbot (§§ 25 StVG, 4 BKatV)
Hinweis:
Zu Rechtsgrundlagen und Systematik des bußgeldrechtlichen Fahrverbots wird verwiesen auf Deutscher in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. 2018, Rn 1355 ff., 1586 ff. Zur Rechtsprechungspraxis der norddeutschen Amtsgerichte bei drohenden Fahrverboten für Verkehrsordnungswidrigkeiten in den Jahren 2015 bis 2019 s. Junghans zfs 2020, 422. Das Absehen von unbekannten/neuen Regelfahrverboten auf Tatbestandsebene stellt Krumm zfs 2020, 184 dar.
a) Der Tatbestand des Fahrverbots
aa) Regelfälle
Das KG (DAR 2020, 394 = zfs 2020, 347 = NZV 2020, 536 [Balschun]) hat seine ständige Rechtsprechung aufgegeben, wonach der Tatbestand des Regelfahrverbots bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß nach Nr. 132.3 BKat (länger als eine Sekunde) entfällt, wenn keine abstrakte Gefährlichkeit vorliegt. Der Umstand, dass der Betroffene wegen der Fahrt mit einem ihm fremden Fahrzeug eine Geschwindigkeitsbeschränkung verkannt hat, genügt nicht für die Annahme eines Augenblicksversagens (BayObLG VRR 6/2020, 17 [Deutscher]).
bb) Nicht-Regelfälle
Der Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO (Benutzung elektronischer Geräte) soll nach Ansicht des BayObLG (zfs 2020, 172 = NZV 2020, 321 [Will]) wegen seiner massiven Steigerung des Gefährdungspotenzials für Leib und Leben Dritter wertungsmäßig anderen typischen Massenverstößen wie Geschwindigkeitsüberschreitungen und Abstandsunterschreitungen auch dann gleichstehen, wenn die Voraussetzungen eines Regelfahrverbots nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BKatV i.V.m. Nr. 246.2 und 246.3 BKat nicht gegeben sind.
b) Die Angemessenheit des Fahrverbots
Die mit der Ausübung des Amts eines katholischen Priesters oder derjenigen eines jeden (hauptamtlichen) Geistlichen einer anderen Konfession oder Glaubensrichtung typischerweise verbundenen wesentlichen Aufgaben, darunter die ggf. kirchenrechtlich exklusive Legitimation zur (Einzel-)Sakramentsspendung, rechtfertigen regelmäßig für sich allein nicht das Absehen von einem verwirkten Regelfahrverbot oder die Anerkennung einer sonstigen Fahrverbotsprivilegierung (BayObLG BA 57, 227). Gleiches gilt für die ehrenamtliche Tätigkeit als Vorsitzender des Vorstands einer gemeinnützigen Stiftung (AG Dortmund NZV 2020, 437 [Deutscher]). Angesichts des erhöhten Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG (Drogenfahrt) versteht sich die Angemessenheit der Anordnung eines Fahrverbots von selbst. Der Tatrichter muss allerdings zumindest konkludent erkennen lassen, dass er die Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot in Ausnahmefällen erkannt und ausgeschlossen hat. Ist das Ermessen des Tatrichters ersichtlich auf null reduziert (der Grenzwert ist um ein Vielfaches überschritten worden oder es handelt sich um einen unbelehrbaren Wiederholungstäter), erscheint es ausnahmsweise vertretbar, wenn die Prüfung des Vorliegens eines Ausnahmefalls in den Urteilsgründen nicht zum Ausdruck kommt (OLG Celle NZV 2020, 255 m. Anm. Krenberger = VRR 7/2020, 23 [Deutscher]).
c) Die Dauer des Fahrverbots
Das gesetzliche Mindestmaß des Fahrverbots beträgt einen Monat. Es darf weder aus Gründen des Übermaßverbots oder des Zeitablaufs noch wegen des Vorliegens einer privilegierenden Fallkonstellation (Absehen oder Verkürzung eines Fahrverbots von mehr als einem Monat) unterschritten werden. Auch darf es nicht sukz...