Der elektronische Rechtsverkehr im Allgemeinen und das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) sowie das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) im Besonderen haben bereits für Furore gesorgt. Doch selbst wenn Gerichte, Rechtsanwälte und Behörden ihn mit Leben füllen wollen: Die Tücke dabei liegt manchmal im Detail.
Denn im Rahmen der technischen Abbildung der juristischen Welt müssen anscheinend geklärte Fragen erneut aufgeworfen und technisch wie auch juristisch beantwortet werden. Die Rechtsanwälte haben schon früh darauf hingewiesen, dass bereits dem beA sprachlich wie technisch der Fehler innewohnt, dass es eben kein Kanzleipostfach gibt. Das ignoriert z.B. die Vorschrift § 59l BRAO vollständig, da auch "die Rechtsanwaltsgesellschaft (...) als Prozeß- oder Verfahrensbevollmächtigte beauftragt werden" kann. Wird also einer Rechtsanwaltsgesellschaft ein Mandat erteilt und will sie Klage erheben, erfasst das Gericht zwingend – in Ermangelung anderer Postfächer – eine kanzleiangehörige Rechtsanwältin oder einen kanzleiangehörigen Rechtsanwalt in der elektronischen Akte. An diese/n werden zukünftig Zusendungen und Zustellungen bewirkt, völlig unabhängig davon, ob bei ihr/ihm auch die Sachbearbeitung in der Rechtsanwaltsgesellschaft verortet ist oder ob die/der Betroffene über die Dauer eines Verfahrens hinweg der bevollmächtigten Gesellschaft noch angehört oder nicht.
Auch umgekehrt – und das ist für den Rechtsschutzsuchenden besonders ärgerlich – bildet die elektronische (Gerichts-)Welt die Justiz nicht vollständig ab. So haben sich Bund und Bundesländer im Ergebnis bis jetzt noch nicht auf die gleichmäßige und gleichnamige Erfassung von Gerichten verständigen können. Gerichte mit Spezialzuständigkeiten verdeutlichen schnell das Problem:
So kennt etwa die Bundesrechtsanwaltsordnung die bundesweit vorgeschriebene Bildung von Anwaltsgerichten bei den Rechtsanwaltskammern, Anwaltsgerichtshöfen als Berufungs- und teilweise erste Instanz, sowie den Senat in Anwaltssachen beim Bundesgerichtshof. Während letzterer bereits sprachlich keine Eigenständigkeit beansprucht, sondern auch in der Bundesrechtsanwaltsordnung verkürzt als "Bundesgerichtshof" bezeichnet wird, werden die Anwaltsgerichte gem. § 92 Abs. 1 BRAO von Gesetzes wegen als eigenständige Gerichte errichtet. Auch der Anwaltsgerichtshof ist gem. §§ 100 ff. BRAO eigenständig; er erhält etwa einen eigenen Präsidenten und kann mehrere Senate bilden. Er wird lediglich organisatorisch bei einem Oberlandesgericht oder einem obersten Landesgericht angegliedert.
In der postalischen Adressierung sind damit zwar klassischerweise die Anschriften der Rechtsanwaltskammern identisch mit denen der Anwaltsgerichte und die der Oberlandesgerichte mit denen der Anwaltsgerichtshöfe. An der Unabhängigkeit voneinander ändert das aber nichts.
Dies gilt ebenso für die bundesrechtlich begründeten Dienstgerichte für Richter (§ 77 Abs. 1 DRiG) und wohl auch für deren zweite Instanz (§ 79 Abs. 1 DRiG).
Vor allem aber haben auch die Landesgesetzgeber vielfältige Spezialgerichte geschaffen. Zu denken ist etwa an die Berufsgerichte für Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker, Psychotherapeuten, Architekten oder Ingenieure oder an das Wahlprüfungsgericht in Bremen. Für sie alle kommt die elektronische Justiz nun zu unterschiedlichen technischen Umsetzungen. In der Gesamtschau eher zufällig werden mal eigenständige Postfächer eingerichtet und angeboten oder für die entsprechenden Gerichtsbezeichnungen gar keine Ergebnisse ausgeworfen.
Die Ingenieurkammer Sachsen-Anhalt hält etwa sowohl das bei ihr gebildete Berufsgericht wie auch den Berufsgerichtshof elektronisch mit separaten EGVP-Postfächern vor.
Das Berufsgericht für Beratende Ingenieure und Ingenieurinnen sowie Ingenieure und Ingenieurinnen im Bauwesen bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf ist dagegen unauffindbar, allein das Verwaltungsgericht ließe sich wohl adressieren. Gleiches gilt für das ebenfalls dort gebildete Berufsgericht für Architekten und Architektinnen, Stadtplaner und Stadtplanerinnen oder für die Berufsgerichte für Heilberufe für den nordrhein-westfälischen Landesteil Rheinland bei dem Verwaltungsgericht Köln und für den Landesteil Westfalen bei dem Verwaltungsgericht Münster.
Wieso können – und müssen folglich – in Schleswig die Angehörigen der Heilberufe das eigenständige Gericht unter eigenständigem Postfach adressieren, die Angehörigen der Heilberufe in NRW aber nicht?
Und am Ende wieder brandaktuell: Wie ist der elektronische Schriftsatz zu bewerten, der an das Verwaltungsgericht adressiert ist und in dessen elektronischem Postfach eingeht, obwohl das Berufsgericht ein eigenes Postfach hat?
Alle Fragen, die für Briefpost und Faxe zunehmend geklärt schienen, tauchen nun in neuem Gewand wieder auf. Sie sind klausur- und praxisrelevant zugleich. Verschärfter sind sie nun, weil oftmals für klassische Post gar keine unterschiedlichen Briefkästen angebracht worden waren, sondern nur ein gemeinsamer Briefkasten und...